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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 441<br />

123. Die selbstentlarvende Hypnolalie<br />

In einer jener weißen Nächte der Sommersonnenwende passierte mir<br />

etwas Seltsames, was mir zu denken gab. Mein Bett hatte ich auf der oberen<br />

Pritsche. Unter mir schlief Hauptmann G. aus der Susdal-Gruppe. Es war wohl<br />

Mitternacht vorbei. Da ich heruntersteigen wollte, trat ich mit dem Fuß vorsichtig<br />

auf seine Bettkante, um ihn nicht zu wecken, und hörte, wie er etwas<br />

Unverständliches, aber in verärgertem Tonfall stammelte. Erst dachte ich, ihn<br />

gestört zu haben, und näherte mein Gesicht dem seinen, um zu verstehen, was<br />

er sagte, um mich mitunter zu entschuldigen. Zu meiner Verblüffung hörte ich ihn<br />

völlig deutlich, wie er Wort für Wort sagte: „Lasst mich in Ruhe! Es ist meine<br />

Sache, was ich tue! Ich höre alles… registriere alle… Sage alles, nur um<br />

heimzukehren.“<br />

Ich war erschüttert angesichts dieses satanischen<br />

Glaubensbekenntnisses, wodurch ein Mensch sich selbst aus seinem Stand als<br />

Mensch entließ, nur um „heimzukehren“. Gegenüber was für Gesprächspartnern<br />

aus der Welt des Traumes mag er denn derart verärgert sein souveränes Recht,<br />

seinen Weg nach Hause mit Leichen auszulegen, verteidigt haben? Sicherlich<br />

focht er mit dem eigenen Gewissen, das mit seiner Entscheidung unzufrieden<br />

war und ihn mittels der Traumfiguren, mit denen er stritt, ihm seine eigene<br />

Anschuldigung präsentierte.<br />

Tags darauf erzählte ich äußerst diskret einigen „Susdalern“, mit denen<br />

ich näheren Umgang pflegte, meine nächtliche Entdeckung, welche diese aufs<br />

Erste völlig verwirrte, passte sie doch in keiner Weise zum allgemeinen<br />

Verhalten Hauptmann G.s, ein seriöser, zurückgezogener, verschwiegener<br />

Mann, der sich nicht bei den Freiwilligen gemeldet hatte. Da der Stein nun mal<br />

ins Wasser geworfen worden war, tauchten aber nach und nach vom Grundes<br />

des Vergessens Verhaltensmomente, zweideutige Situationen, bizarre Zufälle<br />

auf, die nun, im Lichte meiner seltsamen Enthüllung, alle zusammen eine recht<br />

glaubhafte Anklagelinie ergaben. Glaubhaft, ja; nicht genug aber, um als<br />

Beweise gelten zu können.<br />

Von jenem Moment an hatten wir G. auf dem Kieker. Er wurde in dubiosen<br />

Situationen überrascht (gewisse Kontakte zum allseits bekannten Spitzel unter<br />

uns), nie jedoch mit der Katz im Sack erwischt. Er spürte, dass er misstrauisch<br />

betrachtet und mit Zurückhaltung behandelt wurde. Aber es scherte ihn nicht. In<br />

Odessa wurde er mit einem Krankentransport repatriiert, obwohl er kerngesund<br />

war. Wenn auch dies kein Beweis war, was war dann die Anstellung des<br />

Heimkehrers bei der Securitate, wo er „ungestört“ bis ins Rentenalter schaffte?<br />

Dies seltsame Ereignis zeigt, dass keine Ruchlosigkeit endlos geheim bleibt.<br />

Findet sich niemand auf der Welt, sie zu entlarven, dann erhebt sich zur Stunde<br />

des tiefsten Schlafes, wenn es sich der Kont<strong>ro</strong>lle des Verstandes entzieht,<br />

anklagend das „Gewissen“ und spricht seine Anklage mittels der Rede im Schlaf,<br />

der „entlarvenden Hypnolalie“.

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