04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 515<br />

Fantastisch! Aber das war ja reine Herausforderung. Vor der Nase der hilflosen<br />

Macht hatten unsere Jungs die Berge mit Feuern gefühlt. Ja, siehe da, nach den<br />

zwei Zeichen tagsüber, empfing uns das Vaterland, das wahre Vaterland, bei<br />

unserer Ankunft auch mit dem dritten, mit den Feuern in den Bergen. Allein, das<br />

letztere Zeichen hatte für uns auch eine erschütternde emblematische<br />

Bedeutung. Es nahm jenes Endfeuer am Tag des Zornes Dies Irae, dem Tag<br />

des Jüngsten Gerichts vorweg, wenn die Welt durch dessen reinigenden<br />

Flammen geht, um verklärt daraus wieder hervorzukommen. Mit an den<br />

Fensterscheiben gepressten Gesichtern blickten wir forschend zu den<br />

Brandherden und suchten in unserer Vorstellung die Silhouetten der Kämpfer mit<br />

der Waffe unterm Arm, wie sie sich der Hitze zu neigten. Jene Flammen wirkten<br />

auf uns wie ein magisches Beschwörungslied. Wir konnten unsere Blicke nicht<br />

mehr lösen davon. „Kommt mit! Hier ist euer Platz. Kommt mit!“ Dies schien uns<br />

jener Flackertanz mitzuteilen. Eine unbändige Sehnsucht riss plötzlich unser<br />

Inneres entzwei, eine Sehnsucht nach Luft, nach Freiheit, nach Taten, nach<br />

Risiken.<br />

Schmerzliches Aufwachen! Nach neun Jahren des Dahinsiechens in der<br />

abgestandenen Atmosphäre des Weggeschlossenseins waren die Lungen es<br />

nicht mehr gewöhnt, die kräftige Luft aus den hohen Sphären der Freiheit<br />

einzuatmen. In unserem Widerstand in den Lagern bezahlten wir, indem wir uns<br />

für den Hungerstreik und die Askese entschieden, genau genommen die Rettung<br />

der Seele mit der Entfleischung des Leibes.<br />

Und fragten uns nun in Gedanken: „Können wir denn diesen Leibern, die<br />

wir gnadenlos durch so viele zermürbende Prüfungen getrieben haben, diesen<br />

zum Teil von Krankheiten und Hilflosigkeiten ausgemergelten Leibern jetzt noch<br />

die Anstrengung eines Winterkriegs in den Bergen abverlangen?“<br />

Wir wurden dazu gezwungen, die Wirklichkeit als solche zu akzeptieren:<br />

„Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Resigniert blickten wir durch<br />

die Dunkelheit zu ihnen hin, den unsichtbaren Kämpfern, so wie eine<br />

Hausentenschar zu dem Flug eines Wildentenzugs hoch oben in den Lüften<br />

aufblickt. 191 Indem er genauestens erahnte, was diese Rufe aus der Nacht und<br />

aus dem Unbekannten in unseren Seelen für Gedanken ausgelöst hatten,<br />

näherte sich uns mein Oberst (Ciufu) und sagte uns mit seiner leicht blassen<br />

Stimme leise, so wie nebenbei:<br />

„He, Kinder, was die dort in den Bergen tun, dafür hat nicht jeder die<br />

Kraft… Aber es gibt parallel dazu noch einen Krieg, einen unsichtbaren, in dem<br />

für jeden «Stellungen zu beziehen! sind – ein jeder mit den ihm zur Verfügung<br />

stehenden Waffen und Kräften. Es hat keinen Sinn, voreilig zu sein. Dieser Krieg<br />

ist erst am Anfang.“<br />

191 Später sollte ich dann erfahren, dass einer der faszinierten Betrachter des Feuerspiels aus jener Nacht<br />

etwa ein Jahr später Verbindung mit dem Bewaffneten Widerstand am Südhang des Fogarascher<br />

Gebirgsmassivs aufnehmen sollte, und zwar mit der Gruppe Oberst Arsenescus. Leider nur für kurze Zeit,<br />

denn er sollte durch Verrat alsbald der Securitate ins Netz gehen. Es war dies Nae Cojocaru, eine der<br />

repräsentativsten Figuren unserer Hungerstreik- und P<strong>ro</strong>testgruppe aus Oranki, von dem ich wiederholt<br />

gesp<strong>ro</strong>chen habe. (Anm. d. A.)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!