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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 401<br />

106. In den Kellerzellen des NKWD von Morschansk<br />

Im rötlichen Licht der Abenddämmerung verließen wir dann die Taiga und<br />

gelangten nach Morschansk, ein bescheidenes P<strong>ro</strong>vinzstädtchen, um nach ein<br />

paar Minuten vor einem recht g<strong>ro</strong>ßen, mehrstöckigen Gebäude mit grauem und<br />

schauerlichem Aussehen anzuhalten. Es war der Sitz des NKWD.<br />

Die Durchsuchung füllte mich, dank ihrer hohen P<strong>ro</strong>fessionalität, mit<br />

Bewunderung. Aber obwohl ich mich, gleich vielen von uns, nackt ausziehen<br />

musste und sogar im Anus kont<strong>ro</strong>lliert wurde, fanden sie meine Madonna nicht.<br />

Nach diesem Ritual wurden wir zu dritt oder zu viert von einem Tschassowoj<br />

übernommen und durch das Halbdunkel der unterirdischen Gänge eines<br />

Schrecken einflößenden Labyrinths von „Lagerungs“-Zellen mit Eisentüren und<br />

Überwachungsfensterchen geführt.<br />

Die Zelle, in die ich mit noch zwei Jungs gesteckt wurde, war ein etwa drei<br />

mal drei Meter g<strong>ro</strong>ßer, fensterloser Raum (Luft bekamen wir bloß durch den<br />

Spalt unter der Tür) und hatte im Betonboden befestigte Eisenbetten. Meine<br />

beiden Mitbewohner waren sympathische junge Männer, beide Lehrer aus der<br />

Arge[er 170 Gegend und befreundet. Der eine war Ion L\z\rescu, auch Pafnutie<br />

genannt, weil er einen g<strong>ro</strong>ßen, mönchischen Bart trug, den er sich ostentativ<br />

hatte wachsen lassen, der andere Aurel Bi]an, der uns während der ersten Nacht<br />

im schrecklichen Isolator des Teufellochs heimlich besucht hatte.<br />

Die halbblinde Glühbirne über der Tür tauchte den unheimlichen Raum<br />

Tag und Nacht in ein schmutziges Licht. An den Wänden, an denen eine frische<br />

Kalkung die superben Verzweigungen von Schimmelblüten zu bedecken<br />

versucht hatte, entdeckte ich Spuren von mit einem Nagel eingeritzten<br />

kyrillischen Buchstaben sowie Zahlen, wohl Häftlingsnamen mit<br />

Einkarzerungsdatum.<br />

Das Guckfensterchen ging ab und zu auf, und in seinem dunklen<br />

Rechteck tauchte ein Augenpaar auf, das uns drei mit giftigen Blicken forschend<br />

ansah.<br />

Es war spät geworden. Wir beteten, dann legten wir uns im Licht der<br />

Glühbirne schlafen, deckten uns mit unseren Mänteln zu. Es war kühl und feucht.<br />

So ging unser erster Hungerstreiktag zu Ende. Tags darauf erschienen die<br />

Wächter mit den dampfenden Kesseln und forderten uns auf, unsere Näpfe<br />

hinzuhalten. Alle drei antworteten wir im Chor: Golodowka (Hungerstreik). Die<br />

Zeremonie sollte sich auch zu Mittag und am Abend wiederholen, und wir<br />

quittierten sie mit der gleichen Ablehnung.<br />

Zwischendurch erforschte ich weiterhin die Graffitis an der Mauer, stets<br />

darauf achtend, nicht vom Guckfensterchen aus erwischt zu werden. G<strong>ro</strong>ß war<br />

meine Überraschung, als ich neben den kyrillischen Buchstaben auch lateinische<br />

aus teilweise ausgelöschten Namen fand, etwa Io..., Expo..., che<strong>ro</strong>... Die ich<br />

dann (ohne mich auf mein jetziges Gedächtnis total verlassen zu können) etwa<br />

170 Kreis Arge# – Kreishauptstadt: Pite#ti – liegt in Südrumänien, nordwestlich von Bukarest.

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