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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 314<br />

83. ATOMARE ÄNGSTE<br />

Kehren wir aber zurück zu unserem Isolierungsraum in Oranki, wo in den<br />

letzten Tagen eine dumpfe Angst vor dem, was am unbekannten Zielort auf uns<br />

warten könnte, in der Luft lag. Woher kam sie denn, diese Angst? Wir befanden<br />

uns genau am Anfang des Kalten Krieges. Die ehemaligen Verbündeten ließen<br />

ihre Säbel rasseln und schwangen ihre atomaren Spielzeuge. Wo wir bis dahin<br />

unsere Lebenssicherheit und die Repatriierung in den Händen der drei g<strong>ro</strong>ßen<br />

Alliierten sahen (was die Respektierung der gemeinsam vertretenen Prinzipien<br />

mit sich brachte), fühlten wir uns nun, da diese Allianz auseinander geb<strong>ro</strong>chen<br />

war, als habe man uns den Teppich unter den Füßen weggezogen.<br />

Die von den Sowjets in den Nacken unseres Volkes installierten neuen<br />

Machthaber hatten sich von uns losgesagt und taten alles, unsere Repatriierung<br />

so lange wie nur irgend möglich – wäre es möglich gewesen, auf ewig –<br />

hinauszuschieben, und von Seiten der G<strong>ro</strong>ßmächte konnten wir außer mit einer<br />

p<strong>ro</strong>pagandistischen Rhetorik mit nichts Konkretem rechnen.<br />

Unsere Situation war also in jenem Moment, als der Anfang der atomaren<br />

Apokalypse Form annahm, dementsprechend dramatisch. Wir ahnten voraus,<br />

dass wir aus Gefangenen zu „Geiseln“ und im Falle einer atomaren Konf<strong>ro</strong>ntation<br />

als menschliche Schilde verwendet werden konnten, dass uns diese<br />

Staatster<strong>ro</strong>risten in Werke, Fabriken, andere lebenswichtige Zentren placieren<br />

könnten, um durch diese humanitaristische Erpressung die Angloamerikaner<br />

davon abzuhalten, die schreckliche Bombe abzuwerfen. Dass sie einer solchen<br />

Erpressung fähig waren, hatten sie uns ja bereits an der F<strong>ro</strong>nt bewiesen, wo sie<br />

in gewissen Situationen ihre Kinder und Frauen mit erhobenen Händen in die<br />

ersten Linien schickten, die sich dann auf ein Zeichen zu Boden warfen, worauf<br />

sie aus deren Rücken ein vernichtendes Feuer auf uns eröffneten, die wir es<br />

nicht wagten, auf solch hilflose Wesen zu schießen.<br />

Selbstverständlich erscheinen diese Befürchtungen heute, nach dem<br />

Atomkrieg, „der nicht stattfand“, als übertrieben und vielleicht gar auch etwas<br />

lächerlich. Wir aber nahmen diese beängstigende Perspektive durchaus ernst,<br />

als wir sahen, dass die Sowjetp<strong>ro</strong>paganda in eine Atombombenhysterie gefallen<br />

war. Und wenn ich mir vorgenommen habe, auch den inneren Leidensweg der<br />

Gefangenschaft, mit all ihren seelischen Zuständen, zu rekonstruieren, kann ich<br />

diese Episode nicht auslassen, auch wenn sie bloß in unserer Einbildung<br />

stattgefunden hat. Wie dem auch sei, eines ist sicher. Hätte der Atomkrieg<br />

stattgefunden, wäre keiner von uns kriegsgefangenen rumänischen Offizieren,<br />

die wir zu jener Stunde auf sowjetischem Boden vergessen waren, mit dem<br />

Leben davongekommen. Das Massaker von Katyn, bei dem 12.000 polnische<br />

Offiziere feige und bestialisch ermordet worden sind, lässt keine Zweifel darüber<br />

aufkommen, was uns für ein Schicksal geblüht hätte.

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