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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 474<br />

133. Die „Landverteilung“ in der Sowjetunion<br />

Zu den interessanten Dingen, die uns Willi Kern oder Vasile S=mbure, wie<br />

man ihn während der fast fünf Jahre nannte, die er mehr oder weniger versteckt<br />

in dem Ialomi]aer Dorf verbrachte, erzählte, gehörte auch das, was er uns von<br />

einigen Kategorien von gemeinrechtlichen Delinquenten berichtete, die<br />

umstandshalber zu „politischen“ Häftlingen wurden und mit denen er im<br />

Odessaer Gefängnis die Zelle geteilt hatte. Einer von diesen war ein ehemaliger<br />

Straftäter aus dem Rehabilitationslager von S\rata, wo sich unter den<br />

„Politischen“ – größtenteils Mitglieder der Eisernen Garde – auch gewöhnliche<br />

Kriminelle befanden. Nach der Beendigung der militärischen Ausbildung wurden<br />

sie an die F<strong>ro</strong>nt geschickt, wo man sie bei gefährlichsten „Kommando“-Aktionen<br />

einsetzte, waren sie doch von Geburt an wagemutige Kerle voller Initiative, und<br />

wenn sie ihre Aufgaben erfolgreich erledigten und mit dem Leben davonkamen,<br />

wurden sie rehabilitiert und gewöhnlichen Einheiten zugeteilt. (Dies galt<br />

wenigstens für die „Gemeinrechtlichen“, denn die Legionäre erfreuten sich eines<br />

anderen, härteren Regimes.)<br />

Als die F<strong>ro</strong>nt am Don einbrach, gerieten einige von ihnen in<br />

Gefangenschaft und wurden im Überlebenskampf zu Bestien für die anderen<br />

Soldaten (was ich im ersten Kapitel bereits gezeigt habe), andere schafften es,<br />

zu flüchten, schlichen sich in Dörfer, wo die Frauen, angesichts der endemischen<br />

Männerkrise, sie versteckten und natürlich „in die Mangel“ nahmen. Mit der Zeit<br />

schafften sie es, sich in Städte abzusetzen, wo sie ihr altes Handwerk wieder<br />

aufnahmen – als Einbrecher und Betrüger – und wohlhabend wurden, so dass<br />

sie es sich schließlich erlauben konnten, von banalen Gaunereien zu Aktionen in<br />

g<strong>ro</strong>ßem Stile überzugehen.<br />

So etwa hatten einige von ihnen mit mehr politischer Vision die Idee, die<br />

so genannte Landzuteilung, die Marschall Jukow angeblich den Soldaten<br />

versp<strong>ro</strong>chen hatte, wenn sie Berlin e<strong>ro</strong>berten, in die Tat umzusetzen. Unter allen<br />

Völkern der Welt ist das russische der größte Mythenkonsument. Deswegen gibt<br />

es ja auch in seiner Geschichte die größte Anzahl von Hochstaplern, die dann im<br />

Rahmen eines solchen Mythos’ auftauchen, an den das ganze Volk mit einer bis<br />

zur Opferbereitschaft reichenden Inständigkeit glaubt. Nur innerhalb einer<br />

solchen mythengläubigen Mentalität konnte der falsche Dimitri auftauchen, der<br />

Zar Boris Godunow besiegt, ein Bandit wie Grischa Pugatschew, der sich als<br />

Zarewitsch ausgibt und Kaiserin Katharina der II. Arbeit gibt, und im zwanzigsten<br />

Jahrhundert Alexandra, die Tochter Nikolais des II., angeblich dem Massaker<br />

von Ekaterinenburg „entkommen“, als die sich mehrere Hochstaplerinnen<br />

ausgeben. Deswegen auch erscheint Der Revisor, die Gogolsche Geschichte<br />

einer Hochstapelei in g<strong>ro</strong>ßem Stile, als eines der bedeutendsten russischen<br />

Werke.<br />

Es ist deswegen auch zu verstehen, dass sich solch ein Gerücht über die<br />

Verteilung des Grundbesitzes in den Reihen der Landbevölkerung einer<br />

außergewöhnlichen Glaubwürdigkeit erfreute. (Schließlich wünschten alle

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