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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 519<br />

dem Sergeanten die Hand“ 195 , flüsterte mir deklamatorisch der Schatten<br />

Alecsandris ins Ohr.)<br />

„Wie geht’s denn so, Roric\?” (Roric\ war mein Rufname aus der Kindheit,<br />

den nur Vertraute kannten) „Bist wohlauf, rüstig? Bravo! Mann, du siehst aber gut<br />

aus!” (Dabei konnte ich mich kaum auf den Beinen halten.) Er schüttelte meine<br />

Hand und ging weiter.<br />

Nach dem wir gemustert worden waren, kehrte die Gruppe zur F<strong>ro</strong>ntmitte<br />

zurück, woher dann ein Oberst zu uns sprach, Dulgheru (Dulberger mit richtigem<br />

Namen, von Beruf Kellner und späterer Folterer). Er teilte uns kurz mit, dass wir<br />

hier, in Bragadiru, bleiben würden, bis aus den Ortschaften, wo wir unseren<br />

Wohnsitz hatten, die Rapporte über die lokalen Möglichkeiten, uns in die<br />

gegenwärtige sozialistische Gesellschaftsordnung zu integrieren, ankamen.<br />

Diese seien gerade in Arbeit. (Anders gesagt, bis man für jeden einen adäquaten<br />

Überwacher finden würde.)<br />

Als die hohe Kommission aus dem Innenministerium weg war, stürzten<br />

sich all meine Freunde auf mich, neugierig darauf, wer denn die imposante Figur<br />

gewesen war, die mir die Ehre erwiesen hatte, mir die Hand zu reichen. Ich<br />

erzählte ihnen alles, was ich über den Mann wusste. Dass er ein paar Jahre Jura<br />

studiert, sich dann aber für eine Militärkarriere entschieden hatte und ein<br />

stattlicher Kavallerieunterleutnant wurde, dies wohl deswegen, weil auch sein<br />

Vater Offizier (Oberst) war. Allerdings war seine Mutter jüdischer Herkunft, was<br />

beiden ernsthaft geschadet haben soll während unserer Bündnisses mit den<br />

Deutschen, als bestimmte rassendiskriminierende Maßnahmen auch unserer<br />

Armee aufgezwungen wurden, und zwar ab Herbst 1940. Anscheinend wurden<br />

sie damals beide aus der Armee entlassen. Dies war alles, was ich damals über<br />

ihn wusste. Wie aber war er Oberst im Innenministerium geworden? Es fällt nicht<br />

schwer, sich vorzustellen, dass die damals infolge seiner Marginalisierung aus<br />

rassistischen Gründen entstandenen Ressentiments ihn später mit Leib und<br />

Seele in die Arme Ana Paukers und der mit den sowjetischen Panzern ins Land<br />

gebrachten Kommunisten getrieben haben mögen, die ja gerade Leute wie ihn<br />

suchten, Unzufriedene und Revanchisten, die bereit waren, sich von ihnen<br />

einspannen zu lassen.<br />

Soviel wusste ich zu jenem Zeitpunkt über ihn. Von seiner Rolle im<br />

schrecklichen moralischen (und gar physischen) Genozid der so genannten<br />

„Umerziehung“ von Pite[ti, im Rahmen derer so viele Gewissen aus den Reihen<br />

unserer studentischen Jugend verstümmelt oder zertrümmert worden sind, über<br />

dieses sein zweites, dunkles Gesicht sollte ich mit Ungläubigkeit erst ein<br />

Jahrzehnt später erfahren, und zwar während meiner zweiten Haftzeit, diesmal<br />

im bodenständigen Gulag.<br />

Jetzt aber – wer weiß durch welches Spiel des Schicksals – stand er da<br />

als kommunistischer Bonze, war gekommen, um mich – der ich gerade aus dem<br />

sowjetischen Gulag entkommen war – zu empfangen und mich in einen weiteren<br />

KZ-Pferch zu stecken. T<strong>ro</strong>tzdem aber hatte – angesichts dessen, dass wir mit<br />

auf uns gerichteten MP-s und Pistolen empfangen worden waren - seine Geste,<br />

195 Im Original: „Atuncea colonelul, dând mâna cu sergentul“. Vers aus dem Gedicht „Sergentul“ von<br />

Vasile Alecsandri (1821-1890), rumänischer Dichter, Dramatiker, Politiker usw.

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