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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 494<br />

erlaubt war, Gemälde aus dem Lager zu bringen und dass alles, was wir malten,<br />

Eigentum des Lagers sei (mit den von uns gekauften Materialien!!!).<br />

Sein Schichtwechsel als Offizier vom Dienst war ein junger NKWD-<br />

Unterleutnant, ein Jude aus Odessa. Schmächtig, durchscheinend-bleichsüchtig<br />

wie er war, konnte man drauf schwören, dass er einem intellektuellen Milieu<br />

entstammte. Er war uns gegenüber höflich. Eine Tages „bat“ er uns, ihm, falls wir<br />

konnten, ein Bild nach einem Modell, das er uns bringen würde, zu malen. Und<br />

fügte noch hinzu, dass er für das Gemälde ehrlich, nach Spielmannsart, den<br />

Preis zu zahlen bereit sei, den wir forderten.<br />

Selbstverständlich lehnten wir dies mit nobler Empörung ab, und nach ein<br />

paar Tagen brachte er uns die Vorlage.<br />

An einem der Tage bemerkte der „<strong>ro</strong>te Mensch“ das Modell, das uns der<br />

„Bleichsüchtige“, wie wir den jungen und durchscheinenden Offizier vom Dienst,<br />

den Juden, nannten, mit der Bitte überlassen hatte, eine Rep<strong>ro</strong>duktion davon<br />

anzufertigen. Es war eine Gravur auf einem verblichenen Karton, die eine<br />

tanzende und Tamburin spielende Odaliske darstellte, die von auf Diwanen<br />

ausgestreckten orientalischen Zuschauern mit libidinösen Blicken im Rauch der<br />

Nargilehs verfolgt wurde. Ein Kitsch in all seiner Pracht. Ich habe nie verstanden,<br />

wie er denn – dazu auf den ersten Blick – wusste, wer uns die Gravur gebracht<br />

hatte, jedenfalls lief er schlagartig dunkel<strong>ro</strong>t an (selbstverständlich aus Eifersucht<br />

– wie denn, dem anderen malten wir ein Gemälde und ihm nicht?) und ließ einen<br />

Stoß von schmutzigen Schimpfwörtern vom Stapel, unter denen die Anrede Jid<br />

sich betont wiederholte. „Wenn ich euch dabei erwische, dass ihr diesem Jid ein<br />

Bild malt (ihr wisst, wen ich meine), dann schließe ich euer Atelier“, sagte er uns<br />

klipp und klar, wonach er die Gravur auf den Tisch warf und die Tür hinter sich<br />

zuschlagend ging.<br />

Wir waren regelrecht sprachlos. Der antisemitische Ausbruch des<br />

Leutnants war für uns eine landesweite absolute Premiere. Soviel wir aus<br />

unseren andauernden Reibungen mit den NKWD-Leuten wussten, verwendeten<br />

diese keine persönliche, sondern bloß eine Dienstsprache. Sie sagten stets nur<br />

das, was man ihnen von oben vorschrieb. Dass ein solches Subjekt den<br />

ideologisch derart inkriminierenden Ausdruck „Jid“ für einen seiner<br />

Dienstgenossen verwendete (und dazu vor Gefangenen!), musste von oben, von<br />

hoch oben kommen, woher man quasi grünes Licht für einen versteckten<br />

Antisemitismus gegeben hatte. So dass unser Mann wohl sicher war, dass er mit<br />

einem solchen Ausbruch nichts riskierte. Der P<strong>ro</strong>zess der sechs jüdischen Ärzte,<br />

die des Mordversuchs an Stalin angeklagt worden waren (von dem wir erst<br />

später erfuhren), sollte uns diese Interpretation bestätigen. Übrigens passte<br />

diese perfekt zu den Ausführungen des Küchennatschalniks aus dem vorigen<br />

Lager zu den versteckten Raufereien innerhalb des NKWD-s zwischen dem<br />

russisch-ukrainischen Lager und den Juden.<br />

„Teufel, misch sie auf! Lass sie einander gegenseitig auffressen, bis nur<br />

noch jene übrig bleiben, die wir getauft haben!“, tranchierten wir das Schicksal<br />

des NKWD nach dieser seltsamen Episode.

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