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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 413<br />

Unser Konzert endete mit Dich loben wir von Lomakin 173 . Während der<br />

finalen Note, die von Coteas Bass lange getragen wurde, interpretierten die<br />

Tenöre und Baritons pianissimo ein Auf- und Absteigen, so als ahmten sie die<br />

Bewegungen der Engel nach, die auf der Jakobsleiter hinauf- und<br />

hinuntersteigen. Langsam erlosch schließlich der finale Akkord in einem<br />

Schweigen wie in der Kirche, das kein Beifall trübt. Geräuschlos stiegen wir von<br />

der Bühne. Die Zuschauer aber, die sich den Applaus verkniffen hatten, um den<br />

begnadeten Augenblick dieses liturgischen Konzertschlusses nicht zu zerstören,<br />

verspürten das Verlangen, uns auch direkt Dank und Lob auszusprechen.<br />

Popescu (der Theologe), der Dirigent, dann der Dolmetscher und formidable<br />

Bass Cotea, Major R\doi, der Klassebariton und Konzertsolist, sowie anderen<br />

Chormitglieder wurden von den Polinnen umringt und aus ganzem Herzen<br />

beglückwünscht.<br />

An mich, der ich neben Cotea das P<strong>ro</strong>gramm auf Deutsch präsentiert<br />

hatte, wandte sich einer der beiden Begleiter der jungen gehbehinderten<br />

Deutschen, um mir ihren Wunsch, mich kennen lernen zu wollen, zu<br />

überbringen. Es war Fräulein von Breda, das – wie ich später erfahren sollte –<br />

aus einer alten baltischen Adligenfamilie stammte. Sie wollte mich bitten, meinen<br />

Kameraden all ihre Dankbarkeit für diese Augenblicke der Sammlung zu<br />

überbringen, welche unser Konzert ihr geboten hatte.<br />

Während ich ihr versprach, dies zu tun, betrachtete ich sie aufmerksam.<br />

Ihr Blick war heiter, lächelnd, und ihr Antlitz entspannt, fein, frei von jeder Spur<br />

dessen, was sie wohl durchgemacht hatte. Es war klar, das Geschöpf vor mir<br />

besaß das Charisma des Leidens. Es hatte die seltene Gabe, aus den<br />

Schmerzen des Lebens jenen Herzensfrieden herauszufiltern, der dann auch aus<br />

dem Antlitz strahlt. Ich küsste ihre Hand zutiefst berührt im Angesicht dieses<br />

g<strong>ro</strong>ßen Leids, das die junge deutsche Frau bis an die Schwelle der Verklärung<br />

zu heben verstanden hatte, und zog mich zurück.<br />

Es war auch Zeit, denn der zweite Teil der Vorstellung begann, die Replik<br />

der Polinnen. Die war von außergewöhnlicher Qualität. Ein reicher und gut<br />

eingestimmter Frauenchor bot uns eine g<strong>ro</strong>ße Vielfalt von Volksliedern, manche<br />

davon lebendiger, andere wieder langsamer, sämtlich aber geprägt von der<br />

typisch slawischen Schwermut. Sie waren bescheiden, aber sauber gekleidet.<br />

Ihre Röcke waren gebleicht vom vielen Waschen, aber die Gesichter blitzten vor<br />

Stolz und Unbeugsamkeit. Überwältigt vom Beifall, stellten sie sich hinten auf der<br />

Bühne auf, und aus ihren Reihen traten einige Tänzerinnenpaare vor, die in<br />

kurzen Röckchen und Stiefeletten auf die Melodien des Chores die besonders<br />

anmutigen Polkas und Masurkas tanzten, die uns alle über die Maßen<br />

begeisterten.<br />

Aus all diesen polnischen Volkstänzen spürte ich die aus ihnen<br />

inspirierten, faszinierenden Polkas und Masurkas Chopins aufblitzen. Ja, diese<br />

waren aus diesen Liedern hervorgegangen, aus diesem Reichtum der polnischen<br />

Volksseele, deren g<strong>ro</strong>ßzügiges Vibrieren ich an jenem denkwürdigen Sonntag<br />

voll empfinden konnte. Als wir uns von den Gastgeberinnen trennten,<br />

173 Gawriil Ioakimowitsch Lomakin (1812-1885), russischer Komponist und Mitbegründer der modernen<br />

russischen Kirchenmusik.

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