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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 390<br />

ein Auskommen. Einige Dutzend Meter von unserem Pferch entfernt befand sich<br />

ein anderer Pferch, in dem ein paar voluminöse Schober standen, die mit Planen<br />

bedeckt waren. Ihr mysteriöser Inhalt bestand aus japanischen Militäreffekten,<br />

Waffenröcke, Hosen, Mäntel, Schnürschuhe, Decken bester Qualität und dazu<br />

nagelneu, alles von den Sowjets erbeutet, als sie in der Mandschurei die<br />

gesamte dortige japanische Armee gefangen nahmen, ohne auch nur einen<br />

Schuss abzugeben.<br />

Die Schober wurden nachts vom so genannten Wachdienst bewacht, dem<br />

vertrauenswürdige Gefangene, konkret: deutsche Antifaschisten angehörten. Als<br />

wir in Quarantäne kamen, waren die Schober allesamt hoch und voluminös. Aber<br />

– zu unserer Belustigung – wurden diese jede Nacht etwas kleiner, bis sie, als<br />

wir aus der Quarantäne entlassen wurden, ebenerdig geworden waren.<br />

Zwischendurch aber schienen die Bewohner von Morschansk – auch die Frauen,<br />

nicht nur die Männer – alle in khakifarbenen japanischen Uniformen mit leicht<br />

gelblichem Stich zu stecken. Wer aber hatte diese Verklärung der friedlichen<br />

sowjetischen Bevölkerung bewirkt? Wer sonst, als unsere rumänischen Jungs,<br />

die Soldaten, die in die Stadt zur Arbeit gebracht wurden. Sie hatten die<br />

unkorrumpierbaren Deutschen Wächter korrumpiert und die Kleiderschober<br />

geplündert, zogen zwei, drei Reihen Kleider übereinander an und trugen sie an<br />

der Nase der Tschassowojs vorbei aus dem Lager, um sie der Stadtbevölkerung<br />

gegen Rubel zu verkaufen, so dass nun diese eingekleidet war, wie sie es seit<br />

Zar Nikolais Zeiten nicht mehr war. Und dies aus der Kriegsbeute (den<br />

T<strong>ro</strong>phäen!!) der tapferen Sowjetarmee. „Wie gewonnen, so zer<strong>ro</strong>nnen“. Aber mit<br />

dieser Gelegenheit kleideten sich auch unsere kleidungsarmen Offiziere für<br />

wenige Rubel, mitunter sogar gratis, neu ein.<br />

Unter den Händlern, die vor unserem Pferch allerlei Waren anboten,<br />

tauchte jedoch auch einer – ein Japaner – auf, der eine besondere Ware feilbot.<br />

Er handelte mit „Ideen“. Er fragte uns, ob jemand unter uns sei, der Englisch<br />

oder Deutsch könne, um mit ihm Ideenhandel zu treiben. Im Angebot hatte er<br />

Wissen aus japanischer Geschichte, Geographie, Religion, Kunst und Literatur<br />

und wollte dafür entsprechende Kenntnisse aus dem eu<strong>ro</strong>päischen Kulturraum.<br />

„Am Zaun ist ein Händler mit Gluckenhäuten und fragt nach dir“, sagte<br />

Vonica zu mir, um mich zu foppen. „Er möchte ich weiß nicht was mit dir<br />

tauschen.“<br />

„Was für ein Tausch denn“, fragte ich erstaunt, „ich habe nichts zu<br />

tauschen.“<br />

„Geh doch und schau selber!“, erwiderte er.<br />

Misstrauisch ging ich raus an den Zaun und fand mich vor einem d<strong>ro</strong>lligen<br />

Japanergesicht wieder, das aus einer riesigen Brille über einem breiten Lächeln<br />

bis zu den Ohren bestand. Der Mann war mir von Anfang an sympathisch. Er<br />

hieß Yimori Toru, war etwas jünger als ich, ein Lehrer auf eu<strong>ro</strong>päische Sprachen<br />

spezialisiert, der fließend Deutsch sprach. Aus seinem reichen zum Austausch<br />

angebotenen Wissensbasar wählte ich eine Geschichte der religiösen und<br />

philosophischen Doktrinen Japans aus mythischen Vorzeiten bis zur Gegenwart.<br />

Und er, nachdem er kennerhaft mein Ideenangebot prüfte, entschied sich für<br />

eine Geschichte der eu<strong>ro</strong>päischen philosophischen Strömungen von der Antike<br />

bis zu Bergson. Wir wurden uns einig und beschlossen, die Kurse zu beginnen,

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