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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 433<br />

119. Die Abreise aus Morschansk<br />

Endlich kam auch der Augenblick der Abreise aus Morschansk all derer,<br />

die aus unserer Wandergruppe noch übrig geblieben waren, die wir unsere<br />

Strafreise vor zwei Jahren in Oranki angetreten hatten. Morschansk, hatten uns<br />

die Sowjets in Ustschoara versichert, sei eine Zwischenstation auf dem Weg<br />

nach Hause, ein einfacher Halt von ein, zwei Tagen, um zu baden, die Wäsche<br />

auszuwechseln und die Kleidung zu ergänzen, wonach wir weiter gen Westen<br />

fahren, desgleichen mit einem pittoresken Personenzug unsere euphorische<br />

Reise Richtung Heimat fortsetzen sollten. Und tatsächlich, genau so war es<br />

auch, wie es im Teufelsloch vorausgesagt worden war – mit ein paar kleinen<br />

Unterschieden. Wir blieben da nicht einen Tag, sondern ein Jahr; wir reisten<br />

nicht in einem Personenzug gen Westen, sondern in einem vergitterten<br />

Viehwaggon mit Gefängniswärtern und -hunden gen Norden, und zwar nicht<br />

Richtung Heimat, sondern in ein „Filter“-Lager, woher wir ein Jahr später in<br />

Richtung anderer Zonen einer KZ-Existenz weiterreisen sollten.<br />

Als ich mit dem Gepäck Richtung Tor ging, hatte ich noch mal<br />

Gelegenheit, einen letzten Blick auf das Petunien<strong>ro</strong>ndell zu richten, darunter so<br />

viele bei lebendigem Leibe verbrannte Rumänen begraben lagen. Wie idyllisch<br />

war er nun, kosmetisiert mit den Blumenbeeten, diese Anhäufung von Leid und<br />

Schrecken!<br />

Unsere zur Sommersonnenwende begonnene Bahnreise dauerte nach<br />

dem klassischen Rezept für Gefangenentransporte ca. zwei Wochen, davon wir<br />

vier Tage in jenem riesigen Spinnennetz von Linien, Weichen und Stationen<br />

verbrachten, wo man vor- und rückwärts fährt (und wo man, ist man endlich<br />

wieder raus, sich bekreuzigt), kurz: in Moskau.<br />

Auf der Reise gab es keinen anderen Vorfall, als das, was Cri[an, einem<br />

unserer vertrauenswürdigen Jungs, passierte. Er hatte einen Harnverhalt<br />

psychischer Natur. Er konnte nicht urinieren, wenn noch jemand zugegen war.<br />

Es ist verständlich, was für ein Handikap solch eine Phobie für ihn bedeutete,<br />

angesichts dessen, dass die Enge und die P<strong>ro</strong>miskuität, in der wir lebten, uns<br />

zwang, unsere Notdurft vor aller Augen zu verrichten. Der Unglückselige wartete,<br />

dass Nacht wurde, um sich jenem Loch im Fußboden inmitten des Waggons zu<br />

nähern, welches die Funktion eines Klosetts erfüllt.<br />

Was aber, wenn, während der Arme urinierte, einer von uns aufwachte<br />

und benommen, mit zögerlichen Schritte, sich auch dem Loch näherte? Sofort<br />

setzte sein Urinieren aus, und der Arme ging unter Schmerzen zurück ins Bett,<br />

um einen anderen, günstigeren Moment abzuwarten. Sein Zustand<br />

verschlimmerte sich, er begann zu fiebern. Doktor Popescu richtete seinen Blick<br />

gen Himmel und zuckte mit den Achseln. Eine Sonde hätte er gebraucht, aber<br />

woher eine Sonde im Viehwaggon?<br />

Zum Glück erreichten wir den Zielbahnhof, wo sich auch ein Flusshafen<br />

befand. Dort lag auch ein Frachter vor Anker, der auf uns wartete. Wir sperrten

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