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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 334<br />

Was können wir denn noch tun? Eins von beiden: Entweder wir kapitulieren,<br />

schuften unter den Gewehrkolben der Tschassowojs und riskieren, als Flüchtige<br />

mit je einer Sterbeurkunde ersetzt zu werden, oder aber wir setzen alles auf eine<br />

Karte und antworten auf eine verzweifelte Situation mit einer noch<br />

verzweifelteren Maßnahme, welche dank unseres Mutes und unser<br />

Aufopferungskraft die uns wegschließenden Schlösser sprengt und uns aus der<br />

Sklaverei der Arbeit befreit. Dies ist der Hungerstreik. Ich weiß, dass dieser Leid<br />

und Risiken bedeutet. Aber wenn alles andere zu Lebens- oder Ehrverlust führt<br />

oder zu beiden zugleich, ist der Hungerstreik die einzige Reaktion, die uns eine<br />

Chance zu leben offen hält… als Menschen zu leben, in Würde.“<br />

„Oder zu sterben… desgleichen als Menschen und mit Würde“, fügte ich<br />

spontan und unkont<strong>ro</strong>lliert und womöglich nicht gerade zum besten Zeitpunkt<br />

hinzu (denn ich spürte sofort, dass mir Nae diskret mit dem Fuß ein Zeichen gab,<br />

um mir zuzuflüstern: „Mal langsam mit dem Sterben! Du erschreckst die Leute.“)<br />

„Wir treten nicht in den Hungerstreik, um zu sterben, sondern um zu<br />

leben“, fuhr ich fort. „Es wäre aber unrealistisch, dieses Risiko nicht<br />

einzukalkulieren. Nur wer das Risiko annimmt, soll sich diesem Tanz<br />

anschließen. Ich akzeptiere es und erkläre euch auf Ehre und Gewissen, dass<br />

ich zum Schluss streiken werde, ganz gleich, was dort auf mich wartet. So helfe<br />

mir Gott!“ Dann setzte ich mich.<br />

(Nun, nach so langer Zeit seit jenen Ereignissen, könnte meine damalige<br />

Rede vom Tod emphatisch anmuten oder mindestens übertrieben. Ich versichere<br />

jedoch dem Leser, dass – unter den dramatischen Bedingungen von damals –<br />

meine öffentlich vorgetragene Bereitschaft, im Extremfall mit dem Leben zu<br />

bezahlen, nichts mit Emphase oder Übertreibung zu tun hatte. Es war bloß eine<br />

luzide und unbarmherzige Einschätzung unserer Aussichten, so wie sie sich am<br />

Ende von zwei Monaten Vernichtungsregime in der schrecklichen Höhle am<br />

Grunde des „Teufellochs“ abzeichneten. Zwischen dem langsamen Sterben<br />

wegen Hunger in den gegebenen Umständen und dem gewaltsamen Tod durch<br />

Hungerstreik schien eine dritte Alternative unwahrscheinlich. Der Sieg durch<br />

Hungerstreik hätte eine himmlische Gnade bedeutet, daran man glauben und<br />

worauf man hoffen, aber nicht ernsthaft damit rechnen konnte. Daher auch<br />

meine tragische Resignation.)<br />

Nae erhob sich, um die Schlussfolgerungen zu ziehen: „Wir haben euch<br />

das P<strong>ro</strong>blem präsentiert, das uns bevorsteht, und dies aus allen<br />

Gesichtspunkten, inklusive aus dem negativsten, extremsten. Wir engagieren<br />

uns – falls wir uns denn engagieren – für einen schweren Kampf, in dem wir<br />

allerdings auch eine Chance haben. Auf der Schwelle zu dieser<br />

schwerwiegenden Entscheidung, die nicht ohne feste Verpflichtung get<strong>ro</strong>ffen<br />

werden kann, bitte ich deswegen jeden, der mittanzen möchte, nach vorne zu<br />

treten und seine Meinung zu sagen.“<br />

Sein Schlusssatz wurde von Schweigen geschluckt. Jeder war sich<br />

dessen bewusst, dass wir uns erneut vor einem Wendepunkt des Schicksals mit<br />

unvoraussehbarem Ausgang befanden. Schließlich, dem P<strong>ro</strong>tokoll der<br />

Offizierskonferenz entsprechend, demzufolge als erste die Jüngeren das Wort<br />

ergriffen, angefangen mit den Unterleutnanten, gefolgt von allen anderen, in<br />

Rangordnung, bis hin zu den Obersten, machte nach einem kurzen Zögern Gabi

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