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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 497<br />

140. Hauptmann Lungus Pferd<br />

Nun war auch der Sommer 1950 vergangen, ohne dass sich unsere<br />

Situation verändert hätte. Vorbei war auch der Herbst mit seinen<br />

Wandervogelscharen, die auf ihrem Weg auch unser Land überfliegen sollten.<br />

Weg waren auch die letzten Kranichzüge, deren Rufe den Himmel füllten und<br />

scheinbar für uns bestimmt waren. Wir aber blieben starrt und hilflos zurück, um<br />

ihren Flug Richtung Westen und Süden zu verfolgen.<br />

Die Briefe, die wir von zu Hause erhielten, malten uns einen depressiven<br />

Geisteszustand aus. Aus vielen konnte man die Erbitterung derer von zu Hause<br />

angesichts dieser unvorstellbaren Hinauszögerung unserer Repatriierung<br />

herauslesen. In einigen – zum Glück nicht in allzu vielen –sah man durch eine<br />

verwunderliche Umkehrung die Schuld für diese grenzenlose Verlängerung<br />

unserer Gefangenschaft gar bei uns. Wir wurden angeklagt, aus Stolz, aus Don<br />

Quijotismus, aus angeberischer Kühnheit eine F<strong>ro</strong>ndehaltung eigenommen zu<br />

haben, welche den endlosen Aufschub unserer Freilassung nach sich gezogen<br />

hatte, und machte uns darauf aufmerksam, dass ein Verweilen in dieser Haltung<br />

reiner Wahnsinn war.<br />

„Zum Exempel“, hieß es in diesen Briefen, „X oder Y oder Z, die<br />

Gefangene waren wie ihr auch, die aber als clevere Jungs sich so zu benehmen<br />

gewusst haben, um heimkehren zu können, denen geht es nun prima, sie<br />

bekleiden wichtige Posten, haben sich und ihre Familien vor jeder Sorge und Not<br />

in Sicherheit gebracht.“<br />

Es erübrigt sich, hinzuzufügen, dass die in diesen Briefen erwähnten<br />

cleveren Jungs notorische Aktivisten und Denunzianten gewesen waren, die<br />

letztlich mit den beiden Kohorten von toten Seelen heimkehrten und die,<br />

nachdem sie unsere Existenz in den Lagern vergiftet hatten, nun auch das Leben<br />

unserer Familien vergifteten, in deren Kopf sie sich perfide eingeschlichen<br />

hatten, indem sie so taten, als erteilten sie ihnen desinteressierte Ratschläge.<br />

Die im Grunde genommen unsere Demoralisierung als isolierte Individuen<br />

verfolgten und letztlich die Zerrüttung unseres Widerstandes in den Lagern. All<br />

dies auf die Anweisungen und Direktiven hin, die sie von höherer Stelle<br />

bekommen hatten, denn nichts, nicht mal ein desinteressierter Ratschlag ist<br />

etwas Zufälliges in einer totalitären Gesellschaftsordnung.<br />

Von all diesen Unruhen in unseren Familien zu jener Zeit erinnere ich<br />

mich insbesondere an das Ultimatum, das die Ehefrau meines guten Freundes<br />

M.T. ihm stellte: Wenn er innerhalb eines Jahres nicht heimkehren sollte, würde<br />

sie sich scheiden lassen und einen anderen heiraten, denn sie sei jung und habe<br />

keine Lust dem Leben abzusagen um des Irrsinns eines Ehemannes willen, der<br />

andere Dinge höher stelle als das Familienglück.<br />

„Wir sind bereits im neunten Jahr, seit ich auf dich warte. Alles hat seine<br />

Grenzen“, schloss sie ihren Brief.<br />

„Sie hat Recht“, sagte ich zu meinem Freund und reichte ihm den Brief<br />

zurück. „Wenn es ein Wahnsinn ist, Gott, deinem Land und letztendlich dir selber

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