04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 126<br />

Was unsere Leute betrifft, diesem anonymen Katyn entkamen bloß jene,<br />

denen es gelang, aus dem Fenster zu springen und sich unter Kugelhagel durch<br />

Gestrüpp, Unkraut und hinter Böschungen im Schutz des Morgennebels zur<br />

Landstraße hin zurück zu schleichen. Dort wurde unter Flüchen und<br />

Gewehrkolbenschlägen die Kolonne gebildet und mit einem Schaga mars!<br />

(Vorwärts, marsch!) aufgeb<strong>ro</strong>chen. Kaum dass wir Zeit hatten, noch einen<br />

heimlichen Blick zu dem für uns namenlosen Dorf hin zu werfen, das<br />

Holocaustdorf, in dem mehr als die Hälfte unserer Kolonne von Schatten<br />

zurückblieb.“<br />

Und nun die Geschichte Victor Clonarus: „Ich gehörte zu den bei<br />

Stalingrad eingekesselten deutschen und rumänischen Truppen, und nach der<br />

Kapitulation (am 10. Februar 1943) wurde die gesamte Gefangenenmasse (laut<br />

den sowjetischen Kommuniqués umfasste diese ca. 200000 Menschen) in<br />

verschiedene Lager gebracht. Mit der Gefangenenkolonne von etwa 10000<br />

Unglücksraben, Deutsche und Rumänen, der auch ich angehörte, machten wir<br />

unseren ersten Halt im Lager von Krasno-Armelsk, eine Ortschaft am Don, und<br />

kurz darauf wurden wir nach Beketkowa geschickt (desgleichen in der<br />

Stalingrader Gegend). Hier herrschten versammelt auf dem Niveau der<br />

Superlative alle Bedingungen für ein klassisches Genozid. Zur ernsten<br />

Unterernährung und der schrecklichen Dysenterie, die eine Folge der<br />

hohnsprechenden Nahrung war (Nitschewo-Suppe und verfaulte Kartoffeln),<br />

kam nun auch noch die furchtbare Geißel des Typhus hinzu. Die Gefangenen<br />

starben in Beketkowa wie die Fliegen dahin. Das Spital war p<strong>ro</strong>ppevoll mit<br />

Typhuskranken. Das Leichenschauhaus und der Kotlowan kamen den<br />

Anforderungen nicht mehr nach. In einem Monat hatten zwei Drittel von uns den<br />

Schritt ins Jenseits getan. Um den Seuchen- und Todesherd zu tilgen, beschloss<br />

die Verwaltung, die Überlebenden in ein anderes Lager zu schicken. Und so kam<br />

es, dass die 2000-3000, die wir noch am Leben waren, in die berüchtigten<br />

Todeswaggons verfrachtet und irgendwohin gen Norden (nach Susdal, wie wir<br />

später erfahren sollten) transportiert wurden. Allein in den zwei Wochen, die der<br />

Transport dauerte, fanden die Typhusläuse in dem Gedränge ein fruchtbares<br />

Feld und wanderten voller Ungezwungenheit von Mensch zu Mensch. So dass<br />

bei jedem Halt eine stetig wachsende Anzahl von Leichen der von der Seuche<br />

Hingerafften evakuiert werden mussten. Auf diesem makabren Transport<br />

erkrankte auch ich. Ich schlief neben einem Bekannten aus Bukarest,<br />

Rechtsanwalt Pascal Br\ni[teanu, der schon bei der Abfahrt krank war und unter<br />

meinen Augen sein Leben aushauchte. Da die Läuse den Verstorbenen eiligst<br />

verlassen, stürzten sich seine Läuse – Gott habe ihn selig – auf mich und<br />

übertrugen auch auf mich die Krankheit. Aber ich hätte mich wie immer auch mit<br />

Typhus angesteckt, denn beim Aussteigen waren von den 2000-3000<br />

Verladenen nur noch ein paar hundert übrig geblieben – allesamt kontaminiert.<br />

Ausgestiegen sind wir aber nicht wie vorgesehen in Susdal, sondern früher, in<br />

einer Haltestelle neben Wiadimir, wo ein Lazarett eingerichtet worden war. (Hätte<br />

man uns bis Susdal gebracht, wäre es nicht mehr um ein Aussteigen, sondern<br />

um ein Ausladen der Kadaver gegangen.) Aber auch so befanden wir uns fast<br />

alle an der Grenze zwischen Leben und Tod. Kaum, dass wir aus den<br />

verschleierten Augen schauen und uns noch auf den Beinen halten konnten. Es

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!