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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 368<br />

Chorsänger stürzten, um sie in den Karzer zu bringen, nicht einmal diese zollten<br />

ihnen Aufmerksamkeit. Denn die Angegriffenen wehrten sich nicht im<br />

Geringsten, sangen unentwegt weiter, sogar dann, als sie in die Zellen gestoßen<br />

wurden. Gleichzeitig, sowie man sie weggebracht hatte, erhob sich Romic\<br />

Vasilescu von den Knien, bekreuzigte sich und nahm den Platz eines der Sänger<br />

ein, intonierte energisch und ostentativ die vakant gebliebene Basspartitur. Sein<br />

Nachbar folgte seinem Beispiel, und nach jeder Verhaftung geschah das<br />

Gleiche. Als selbst der Dirigent weggebracht wurde, gelang es diesem, sich noch<br />

nach mir, der ich neben ihm auf den Knien war, umzuwenden und mir den<br />

Dirigentenstab zu überreichen. Ich trat an seine Stelle, und der Chor sang<br />

weiter… und weiter, und keine Macht der Welt hätte ihn stoppen können, jetzt,<br />

da auch die Knienden mitsangen und auch der mit Choristen gefüllte Karzer den<br />

Hof mit den weiten und ernsten Klängen des Engelsgesangs füllte: „Heiliger Gott,<br />

Hochheiliger, Heiliger Unsterblicher…“, als habe sich das gesamte Lager mit<br />

Heiligkeit gefüllt.<br />

Die Hunde gaben das Bellen auf und lagen bäuchlings da, sahen uns<br />

neugierig an, genau so wie auch die Tschassowojs, die sie an der Leine hielten.<br />

Der Major, müde und resigniert, suchte Unterstützung bei der kleinen Gruppe<br />

von Aktivisten, die sich von unserem Gottesdienst ferngehalten hatten und ruhig<br />

auf ihren Pritschen saßen.<br />

„He“, schrie der Major ihnen im Versuch, den Chor zu übertönen, zu,<br />

„nicht wahr, dies sind durnois (verrückt)?“<br />

Aber zu meiner Überraschung taten auch die Aktivisten so, als hörten sie<br />

ihn wegen dem Chor nicht und ließen ihn ohne Antwort. Wütend darüber drückte<br />

der Major seine Mütze in den Nacken, fluchte ausgiebig und verließ mit einer<br />

verächtlichen Geste zu uns hin, gerade so als wären wir geistig Behinderte, mit<br />

denen man sich nicht verständigen kann, die Hütte, die für einen Karfreitagabend<br />

zur geheiligten Kirche geworden war. Es folgten ihm sein Hunde- und<br />

Tschassowojrudel sowie die ernsten und beschwörenden Akkorde eines Liedes,<br />

das er nicht hatte abwürgen können.<br />

Ein paar Minuten später erschienen, mit dem Dirigenten an ihrer Spitze,<br />

die verhafteten Choristen. Klar, wie hätte er sonst den zweiten Brandherd des<br />

„Heiligen Gottes!“ löschen können, den er höchstpersönlich im Karzer angelegt<br />

hatte? Aber auch wir hörten mit dem Engelsgesang, wie dies Lied in der Kirche<br />

heißt, auf, als unsere Leute aus der Alba auftauchten, um zu den anderen Stufen<br />

der Leichenzeremonie überzugehen und an dieser Höllenpforte so gut wir<br />

konnten die Heilige Grabniederlegung, die Auferstehung und Hoffnung<br />

bringende, zu ehren.<br />

*<br />

Da wir uns nun mal vom Fluch der Zwangsarbeit befreit hatten, überkam<br />

uns ein unvergleichlicher Eifer, die verlorene Zeit wieder gut zu machen, so dass<br />

wir uns in g<strong>ro</strong>ßer Mehrheit auf alle Fremdsprachen stürzten, die man im Lager<br />

erlernen konnte, sowie auch auf jede nur mögliche wissenschaftliche oder<br />

literarische Disziplin, die einen hinreichend ausgebildeten Vertreter hatte, sei es<br />

nun unter uns, sei es unter den anderen Nationen, mit denen es uns gelungen<br />

war, enge Beziehungen aufzunehmen.

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