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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 84<br />

erreichen. Um mich versammelten sich auch andere Soldaten von allen Waffen,<br />

um sich von mir zu verabschieden und mir alles Gute zu wünschen.<br />

Das Abschiedsmoment war unerträglich rührend geworden. Dwoeglasow<br />

war es, der mich da herausriss, als er über den ganzen Bahnsteig rief: „Gde<br />

prafessor?” (Wo ist der P<strong>ro</strong>fessor?) Er rief mich, um sich zu verabschieden.<br />

„Na, P<strong>ro</strong>fessor, für dich ist der Krieg zu Ende; für mich beginnt er erst jetzt.<br />

Wir ziehen von hier direkt an die F<strong>ro</strong>nt, und ihr werdet in ein Offizierslager<br />

gebracht, wo ihr alles haben werdet, was ihr braucht und wo ihr das Ende des<br />

Krieges abwarten werdet, um repatriiert zu werden.” (Der arme Dwoeglasow,<br />

mein unschuldiger Berufskollege aus Taschkent, hätte er damals nur ahnen<br />

können, wie viele Jahre nach dem Kriegsende vergehen sollten bis zu meiner<br />

Repatriierung!)<br />

„Wie heißt es und wo befindet sich dies wunderbare Lager?”<br />

„Glaub mir, ich weiß es nicht.” Ich dankte ihm für alles, was er für unser<br />

Überleben unter den gegebenen Umständen getan hatte, und wünschte ihm aus<br />

ganzem Herzen gut durch den Krieg zu kommen und heil zu seiner Familie und<br />

seinem Katheder zurückzukehren.<br />

Dann, während ich seine Hand schüttelte, bemerkte ich, dass an seinem<br />

Handgelenk keine Uhr zu sehen war, während seine Untergebenen je zwei, drei<br />

an jedem Handgelenk trugen. Ich griff schnell in meinen linken Ärmelaufschlag,<br />

wo ich meine Uhr versteckt hielt und reichte sie ihm als Erinnerung.<br />

„Nimm sie, ich brauche sie nicht mehr. Für mich ist die Zeit stehen<br />

geblieben und wird erst wieder losgehen, wenn ich erneut frei bin. Ich schenke<br />

sie dir aus ganzem Herzen und möge sie dir Glück bringen!”<br />

Er sah die Uhr an, dann mich, zögerte, sie entgegen zu nehmen. Auf mein<br />

Drängen hin steckte er sie in die Tasche, dankte mir, reichte mir noch einmal die<br />

Hand, genau so wie auch mein ehemaliger Begleiter, der zu Allah betende<br />

Usbeke, worauf sie zu ihrer Gardegruppe gingen, wo ich zum letzten Mal das<br />

Furcht einflössende Bild des Schlussmannes der Kolonne sah, dem ich – in<br />

seinem riesigen wattierten Mantel und mit dem krummbeinigen Zwerghund mit<br />

vom Blutlecken <strong>ro</strong>ter Zunge – einer Vorahnung gleich bloß noch in meinen<br />

schwarzen Träumen begegnen sollte.

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