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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 344<br />

weiß bloß, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Vonica mich am Ärmel gezupft<br />

und mir gesagt hat: „Halt ein, du bist von Sinnen!“ Ein Zeichen, dass ich in jenen<br />

Zustand unkont<strong>ro</strong>llierter Exaltierung gelangt war, in dem es einem völlig egal ist,<br />

was man mit dem Gesagten riskiert.<br />

An die ungewöhnliche Rede Alexandru B\lans jedoch erinnere ich mich<br />

besser. Der Hauptmann war ein bis hin zur Durchsichtigkeit schmächtiger Mann.<br />

Mit blonden Haaren, Christusbart und blauen Augen sah er aus wie ein<br />

Einsiedler aus der Neam]er Gegend, woher er ja stammte.<br />

„Ich bitte den Herrn Oberst“, begann er, „sich die Erscheinungen derer, die<br />

wir hier eingeschlossen sind, gut anzuschauen“ (dabei wies er mit einer<br />

langsamen Geste, die vom Besucher schweigend verfolgt wurde, auf das ganze<br />

Panorama des Elends und des Leids, das sich tief in die Antlitze gegraben hatte)<br />

„und uns dann“, fuhr er fort, „zu sagen, ob er nicht auch der Meinung ist, dass wir<br />

auf die unterste Stufe des Überlebens hinabgedrückt worden sind. Dann möchte<br />

ich ihn bitten, sich in diesem Isolator umzusehen, in den wir geworfen worden<br />

sind“ (die gleiche Geste führte die Blicke des Besuchers über alle Schrecknisse<br />

dieser grässlichen Spelunke) „und die Bedingungen zu einzuschätzen, welche<br />

die Herren da“ (dabei wies er auf Ziganow und Kocharkin) „für uns geschaffen<br />

haben…, angeblich, um zu leben! Wahrscheinlich aber, auch um allesamt zu<br />

sterben… langsam, aber sicher… Und dann mag uns der Herr sagen, inwiefern<br />

diese denn «humanistischer» sind als jene in Buchenwald, Dachau, Auschwitz,<br />

die von den effizientesten Nazifolterern zur Massenvernichtung geschaffen<br />

wurden.“ Das war dann doch zu viel für den Oberst. Ihn, der sich bis dahin<br />

sichtlich bemüht hatte, ruhig zu bleiben, brachte dieser Vergleich auf die Palme,<br />

und mit einer schneidigen Geste nahm er B\lan das Wort.<br />

„Das ist lügnerisches Gerede“, explodierte er voll nobler Empörung, „in<br />

unseren Lagern bringen wir keinen und haben wir keinen umgebracht.“<br />

„Aber Sie töten langsam“, zischte mit Grabesstimme eine Mumie von<br />

Mensch, kahl und mit eingefallenem Gesicht, dass man seine Zähne sah. Es war<br />

Stelic\ Petrescu, den wir deswegen auch Pastrama (Pökelfleisch) nannten.<br />

„Aber Sie töten langsam“, wiederholte die Mumie mit der gleichen<br />

zischenden Stimme. „Herr Oberst“, fuhr er fort, „wenn ich wählen könnte, in ein<br />

paar Stunden in Auschwitz zu sterben oder in einigen Monaten im Teufelsloch<br />

der Republik Maritzkaja, so würde ich die Gaskammer von Auschwitz vorziehen.<br />

Die ist humaner als Ihr Isolator.“<br />

Der Oberst: „Niemand hat euch in den Isolator gesteckt, um euch<br />

umzubringen.“<br />

Nae Cojocaru: „Aber dazu kommt es schließlich, und zwar recht bald, bei<br />

diesem Ernährungs- (!) und Unterbringungsregime (!).“<br />

Der Oberst: „Ich wiederhole: Niemand hat euch in den Isolator gesteckt,<br />

um euch umzubringen. Ihr allein habt diese Situation geschaffen, indem ihr die<br />

Lage<strong>ro</strong>rdnung übertreten habt.“<br />

Victor Clonaru: „Was für eine Ordnung haben wir denn übertreten? Jene,<br />

die selber so krass eine internationale Konvention missachtet, die von der<br />

Sowjetunion unterzeichnet wurde und wofür sie ihre Ehre aufs Spiel gesetzt<br />

hat?“

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