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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 175<br />

einen Platz an und eine Zigarette, die ich höflich ablehnte. Dann aber spielte er,<br />

nach ein paar Routinefragen, die alte Platte ab mit der F<strong>ro</strong>ntlage auf der ganzen<br />

Welt. Im Laufe seiner Ausführungen hatte ich Zeit, ihn eingehend zu beobachten.<br />

Niemals vorher ist mir jemand begegnet, der seinen Namen so sehr verdiente<br />

wie er: M=]\ 83 , oder besser gesagt - Motan 84 . Sein schiefer und schlauer Blick<br />

und die klebrige Redeweise mit starkem bessarabischem Akzent und<br />

einschleicherisch-verführerischen Modulationen zeugten von einem falschen<br />

Wohlwollen dem Gesprächspartner gegenüber. Die Sätze wiesen<br />

effekthaschende Pausen auf, wie man es von denen kennt, die sich gern reden<br />

hören.<br />

Seine Darstellung hatte bereits einige Male die Erde umkreist, und es gab<br />

keine Anzeichen, dass er sich dem Ende zu nähern wollte. Mein physiologisches<br />

Uhrwerk zeigte mir an, dass einige Stunden verstrichen waren, und er war noch<br />

nicht dazu gekommen, mir den Vorschlag zu machen, was bis dahin noch nie<br />

passiert war. Ich dachte daran, wie enttäuscht er sein würde und fragte mich, wie<br />

er denn reagieren würde, wenn er feststellte, dass all sein stundenlanges Gerede<br />

vergebens war. Deswegen entschloss ich mich, selber ein rasches Ende<br />

herbeizuführen. Ich p<strong>ro</strong>fitierte von einem seiner Tabakhustenanfälle und<br />

unterbrach ihn.<br />

„Herr M=]\“, begann ich schüchtern, „ich schätze in höchstem Grade die<br />

Trefflichkeit und den Realismus der Analyse, die sie für mich angestellt haben,<br />

aber aus Respekt für ihre Person und ihre Zeit, muss ich Ihnen klipp und klar<br />

sagen, dass – unabhängig davon, wie der Krieg auf unserem Planeten ausgehen<br />

wird – ich einer für die Division nicht unterschreibe.“<br />

Auf dies hin (die Antwort auf einen Vorschlag, den er mir noch gar nicht<br />

gemacht hatte) war er erst einmal perplex, und seine Brillen rutschten ihm zur<br />

Nasenspitze hin, wo sie eine Warze stoppte.<br />

„Und welches wären denn, bitte schön, deine Gründe, nicht für die<br />

Division zu unterschreiben?“, fragte er mich nach einer Schweigepause.<br />

„Also, eher stellt sich die Frage, was ich denn für Gründe haben könnte,<br />

dies zu tun? Das ist die korrekte Frage“, erwiderte ich p<strong>ro</strong>mpt, „warum sollte ich<br />

denn meinen Gefangenenstatus, den die internationalen Gesetze schützen,<br />

aufgeben, um wie ein Depp auf dem Schlachtfeld für eine Sache zu sterben, an<br />

die ich nicht einmal glaube?“<br />

„Wer hat dir denn gesagt, dass wir dich losschicken, um im Kampf zu<br />

sterben? Du wirst die F<strong>ro</strong>nt gar nicht erst zu Gesicht bekommen. Für dich haben<br />

wir andere Pläne. Zum Sterben an der F<strong>ro</strong>nt gibt es genug Menschen, deswegen<br />

brauchst du dir keine Sorgen zu machen! Und es ist ja gar nicht nötig, an eine<br />

Sache zu glauben, um ihr zuzustimmen. Du musst dir bloß darüber<br />

Rechenschaft geben, dass sie siegen wird – wenn’s geht, eine Stunde früher als<br />

andere, bevor der Karren voll ist. Uns interessiert nicht, ob du nun glaubst oder<br />

nicht glaubst an die Sache. Das ist allein dein P<strong>ro</strong>blem. Wir begnügen uns damit,<br />

wenn du dich schriftlich und offen dafür engagierst, mit uns zu sein. Gleichzeitig<br />

aber fordern wir von dir, unsere Befehle aufs Genaueste auszuführen. Wenn du<br />

83 Umgangsprachlich für Katze („pisic!“).<br />

84 Kater.

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