04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 183<br />

„Schau, genau solches Wetter gab es auch damals“, begann Marcu<br />

manch eine Geschichte, wobei er angewidert aus dem Fenster in den feuchten<br />

Nebel blickte. „Als sie mich vom Inspektorat in Chi[in\u losschickten, meinen<br />

Posten zu übernehmen, irgendwo in einem armseligen Gagausendorf im öden<br />

Budschak 87 . Es war in den Tagen der Babe 88 , und die Felder glichen mit ihren<br />

erdschwarzen und schneeweißen Flecken einem Ziegenfell. Es wurde gerade<br />

dunkel, als ich in einer kleinen, in der Leere der Ebene verlorenen Bahnstation<br />

ausstieg. «Folge dieser Landstraße und weiche nicht von ihr!!, sagte mir der<br />

Bahnbeamte, den ich nach dem Dorf und der Entfernung bis dahin gefragt hatte,<br />

und wies auf einen vage an Pferdewagenspuren erkennbaren Weg. «Und!, fügte<br />

dieser hinzu, «frage auch du noch nach in den Dörfern, durch die du kommst!!.<br />

Damit schritt ich in meinem abgetragenen und dünnen Überzieher und mit einem<br />

Bündel, in dem sich all meine Habe befand, hoffnungsvoll in die Nacht hinein. Ich<br />

machte mich mit Wind und Regen im Gesicht auf diesen zweifelhaften Landweg,<br />

der sich bereits nach einigen Kilometern in zwei Wege aufgabelte, und nach<br />

weiteren paar Kilometern in andere zwei, so dass ich nicht mehr wusste, ob ich<br />

denn noch auf dem richtigen Weg war oder längst in der Irre. Und wen hätte ich<br />

da noch nach dem Weg fragen können, wo es doch Mitternacht vorbei war und<br />

ich keine Menschenseele get<strong>ro</strong>ffen hatte? Als ich, wie ich so durch die Nacht<br />

tappte, plötzlich auf ein Bächlein stieß. Ich ging über eine Brücke und fand mich<br />

am anderen Ufer vor einem verfallenen Haus wieder. Dies stand, wie ich<br />

feststellen konnte, am Rande eines Dorfes. Ich ging eine Gasse entlang, auf der<br />

Suche nach einem etwas besser aussehenden Hause, an dessen Tor ich klopfen<br />

konnte mit der Bitte um Beherbergung über Nacht, sei es auch in einem<br />

Schuppen. Aber wo! Alle Häuser waren klein, niedrig, krumm und verfallen, ohne<br />

oder mit darnieder liegenden Zäunen. Kein Gebell, kein Lebenszeichen. Alles<br />

war tot in diesem Phantomdorf, ein Furcht erregendes Bild des schrecklichsten<br />

Elends. Ich erreichte das andere Ende des Dorfes und hatte es bereits<br />

aufgegeben, ein Tor zu finden, an das ich hätte klopfen können, als ich aus dem<br />

kleinen Fenster der letzten Hütte einen Lichtschimmer herausstrahlen sah. Da es<br />

aber kein Tor gab, klopfte ich direkt an die Tür. Es öffnete mir ein Mann mit einer<br />

brennenden Kerze in der Hand.<br />

Er war noch jung, aber dünn, bärtig, in schmutzige Fetzen gekleidet und<br />

barfüßig. Während ich mein Anliegen vorbrachte, hörte ich aus der Stube<br />

Schreie und Wehklagen, wie nur Frauen, die auf dem Punkt sind, ein Kind zur<br />

Welt zu bringen, sie hervorbringen. Tatsächlich, als ich auf seine Einladung in die<br />

Stube trat, sah ich auf einer Bretterpritsche eine junge Frau, die sich hin und her<br />

warf und unter Geburtsschmerzen schrie. Halb in verstümmelter rumänischer,<br />

87 Rum. Bugeac: Steppengegend im Süden des historischen Bessarabiens, gelegen zwischen Donau,<br />

Schwarzem Meer und Dnjestr. Dieses Gebiet gehörte bis 1940, gleich Bessarabien, zu Rumänien, als es<br />

infolge des Molotow-Ribbent<strong>ro</strong>p-Paktes an die Sowjetunion fiel, nach dem II. Weltkrieg dann aber der<br />

Ukraine einverleibt wurde, zu der es auch heute gehört.<br />

88 Zilele babelor / Tage der Greisinnen: 1.-8. März (in manchen Gegenden sind es nur 7, in anderen 12<br />

Tage), die Tage, welche den Frühling bringen. Damit verbunden sind eine Reihe von volkstümlichen<br />

Bräuchen, etwa jener, dass sich die Jungfrauen am 1. März mit Schneewasser waschen, um einen reinen<br />

und hellen Teint zu bekommen. Dazu wählen sich die Frauen einen dieser Tage aus, und so wie das Wetter<br />

an diesem Tag ist, so wird auch ihr Glück sein.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!