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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 533<br />

„Tja, gerade die Tatsache, dass du mir nie etwas von ihr geschrieben<br />

hast, ließ mich erkennen, dass in meiner Ehe etwas Ernstes und Unumkehrbares<br />

passiert war. Nun aber sag mir schon, wohin ich dies leidige Gepäck ablegen<br />

soll, das alle Wasser aus mir trieb!“, und ohne noch auf ihre Antwort zu warten<br />

drückte ich auf die Klinke der Tür auf der rechten Seite des Vorraums, um mein<br />

ehemaliges Junggesellenzimmer zu betreten. Dies aber war abgeschlossen.<br />

„Nein, nicht hier! Das Wohnungsamt hat uns das Zimmer genommen und<br />

einen Parteiaktivisten hinein gesteckt. Nur gut, dass er unverheiratet ist und mich<br />

in der Küche nicht stört“, fügte Mutter noch ausgleichend hinzu, um mir das<br />

gräuliche Gefühl zu lindern, dass ein fremdes Wesen in die Intimität unseres<br />

Heimes eingedrungen war.<br />

„Ich habe dir dein ehemaliges Studentenzimmer vorbereitet. Seit wann es<br />

schon auf dich wartet! Auf den Stuhl habe ich dir frische saubere Wäsche<br />

hingelegt, einen deiner Anzüge und ein Paar Halbschuhe. Zieh doch diese<br />

schrecklichen Stiefel aus! Und geh schon mal duschen! Danach komm zu Tisch!<br />

Ich habe etwas zubereitet, was dir schmeckt. Ich hatte ein Vorgefühl, dass du<br />

heute kommen würdest. Du bist bestimmt auch hungrig!“<br />

„Komisch, aber ich habe keinen Hunger. Mehr als alles andere fehlt mir<br />

der Schlaf. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich wusste, dass sie<br />

mich heute freilassen würden. Und dann habe ich vom Lagertor bis vor die<br />

Haustür nur Schläge eingesteckt… mitten ins Herz. Oh, wie sehr möchte ich<br />

denn schlafen. Tief und traumlos schlafen! Schlafen… «den Schlaf der Erde!!<br />

«Laissez moi m’endormir du sommeil de la terre!!… Wie es bei… (und ich blickte<br />

sie an) Lamartine heißt.“<br />

„Vigny“, verbesserte mich Mutter knapp. „Es ist aus dem Gedicht<br />

«Moïse».“<br />

„Aha, da ist die Französischlehrerin in ihr wieder wach geworden“, dachte<br />

ich bei mir, „ein gutes Zeichen! Es ist, als habe sie sich etwas aufgerichtet, um<br />

ihre didaktische Haltung anzunehmen.“ (Eigentlich war mein absichtlich dem<br />

falschen Autor zugeschriebenes Zitat eine Herausforderung, um sie aus ihrem<br />

jetzigen weinerlichen und depressiven Ton zu reißen und zurück zu dem ihr seit<br />

jeher eigenen festen und autoritären Ton zu führen. Dieses mein Spiel war<br />

übrigens mit einem unserer Spiele aus der Kindheit verbunden. Wenn sie mir in<br />

Französisch Nachhilfe gab, zitierte sie mir bekannte Fragmente und fragte mich,<br />

woher sie stammten, worauf ich ihr – sei es aus Unwissenheit, sei es aus<br />

Frechheit – so lange irrwitzige Antworten lieferte, bis ich sie so ärgerte, dass sie<br />

mir mitunter eine knallte. Oh, die Arme, wie gut wäre es denn, könnte sie mich<br />

auch jetzt noch ohrfeigen, um all meine Ängste zu zerstreuen und alle Krisen und<br />

Obsessionen und all den Wahnsinn, den ich aus der Gefangenschaft wie eine an<br />

meinen Fuß gekettete Kanonenkugel hinter mir her schleifte!)<br />

„Ja, Vigny, du hast recht, Mutter. Einen tiefen Schlaf wie «der Schlaf der<br />

Erde!“, einen solchen brauche ich jetzt. Ich möchte schlafen, schlafen ohne zu<br />

träumen, um mit dem Gefühl aufzuwachen, dass ich dies Haus, diese Welt<br />

niemals verlassen habe… und dass alles, was mir zugestoßen ist, nichts als eine<br />

P<strong>ro</strong>jektion meines Hirns auf den Hintergrund eines dunklen Traumes ist, eine<br />

Einschließung meiner Seele ins Reich des Schwarzen Traumes. Ein Alptraum

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