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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 142<br />

Die zweite Begegnung: In einer Oktobernacht. Wir ritten in kurzem Trab<br />

durch die von einem unheimlichen Wind aufgewühlte Steppe. Es war<br />

offensichtlich, dass wir uns der F<strong>ro</strong>nt näherten, um unsere Stellungen<br />

einzunehmen. Vor den Vollmond am Himmel schob sich ab und an eine<br />

Wolkendecke. Plötzlich ließ der vorübergehende Mondschein einige Dutzend<br />

Meter rechts vom Feldweg entfernt etwas wie eine g<strong>ro</strong>ße Armee aufleuchten, die<br />

in geregelten Reihen mit glänzenden Stahlhelmen, deren Federschmuck im Wind<br />

flatterte, erstarrt war. Wir hielten schaudernd an und erkannten im Dunkel, dass<br />

diese Schemenarmee einen Kriegsfriedhof darstellte. Ich löste mich, gefolgt von<br />

ein paar Reitern, aus der Kolonne, stieg vor den ersten Gräbern ab und<br />

versuchte mit der Laterne, die Inschriften auf den Kreuzen zu entziffern, auf<br />

denen die mit flatternden Federn geschmückten Helme gestülpt worden waren.<br />

Es waren „Bersalieri“, wie die Gebirgsjäger, die Elite der italienischen Armee,<br />

hießen. Und diese ihre Namen auf den Kreuzen, Namen warm wie die Sonne<br />

Italiens, die hatte ich vor zwei Jahren so oft voller Überschwang auf den Straßen<br />

und Marktplätzen dieses wunderbaren Landes, dass ich auf einer<br />

unvergesslichen Reise vom einen bis zum anderen Ende erlebte, rufen gehört.<br />

Zur Verwunderung meiner Begleiter ging ich von Kreuz zu Kreuz, entzifferte<br />

Namen und Heimatstädte (wovon ich einen Teil auch gesehen hatte), gerade so,<br />

als suchte ich Verwandte und Freunde. In dieser kalten und desolaten Steppe<br />

brachten ihre klangvollen Namen etwas von dem heiteren Himmel und der von<br />

Sonne überfluteten Landschaft Italiens.<br />

Also denn, diese Menschen verstanden es nicht nur, zu streiten und zu<br />

spotten, Kanzonetten zu singen, auf der Gitarre zu klimpern oder die Taschen<br />

der Deutschen zu plündern, sondern auch zu kämpfen und zur Not auch zu<br />

sterben. Ihre Erinnerung in Ehren und mögen sie in Frieden ruhen!<br />

Meine Italienreise im Frühjahr 1940 war eines der glücklichsten Ereignisse<br />

meines Lebens. Damals erfüllten sich all meine Träume, welche die jahrelang<br />

besuchten kunstgeschichtlichen Vorlesungen in mir geweckt hatten. Alle die auf<br />

den Bildschirm p<strong>ro</strong>jizierten Meisterwerke, die in faszinierender Weise von meinen<br />

g<strong>ro</strong>ßen P<strong>ro</strong>fessoren (G. Oprescu, A. Busuioceanu) kommentiert worden waren,<br />

lebten nun auf und erbebten vor meinen Augen. Dazu der azurne Himmel, der<br />

von den Lauten der venezianischen Kampaniles vibrierte! Und das saphirfarbene<br />

Meer im Goldmantel der neapolitanischen Abenddämmerung! Die überlangen<br />

und ernsten Silhouetten der Trauerzypressen auf den Genoveser<br />

Marmorfriedhöfen! Und das Gelächter der römischen Brunnen! Die brennende<br />

Vegetation des Südens, so überschwänglich wie die Menschen, welche die<br />

Straßen und Marktplätze mit rauschend-pittoreskem Leben füllten!<br />

Der „Zauber“ dieser bloß zweiwöchigen Reise war mir in den neun langen<br />

und dunklen Jahren meiner Gefangenschaft geistige Nahrung. In der Kälte und<br />

dem Dunkel der russischen Winter wärmte mich das Licht des Sonnengolds<br />

eines südlichen Traumlandes. Und dieses Licht wärmte nicht nur mich, sondern<br />

auch die mich umgebenden Menschen, welche die Erinnerungen liebten und sich<br />

Geschichten wünschten über die „schönen, fast nackten Götter einer weißgoldenen<br />

Festung“ 70 .<br />

70 Zitat aus dem Gedicht „Elegie“ von Adrian Maniu (1891 – 1968).

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