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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 286<br />

75. DAS PROTESTSCHREIBEN<br />

Der P<strong>ro</strong>test lautete ungefähr so: „Herr Kommandant (er wandte sich also<br />

gerade an die Person, welche diese kriminellen Aktionen beschirmte und plante,<br />

an den berühmten Oberst Gristschuk)… Unterzeichneter, Rang und Name,<br />

Offizier der Königlichen Rumänischen Armee, p<strong>ro</strong>testiere mit aller<br />

Entschiedenheit gegen die von der Lagergarde verübten Gewalttaten, welche<br />

sogar vor Mordversuchen nicht zurückscheut. Ich p<strong>ro</strong>testiere gegen die<br />

ständigen Verletzungen unseres Rechtes auf Würde als Offiziere und als<br />

Menschen. Ich p<strong>ro</strong>testiere gegen den Mangel an «Humanismus! in der Haltung<br />

der Verwaltung gegen die gefangenen rumänischen Offiziere. (Statt<br />

„Humanitarismus“ verwendete der sowjetische politische Diskurs bis zum<br />

Abwinken selbstverständlich den unpassenden Terminus „Humanismus“, der ja<br />

der Renaissance eigen ist, aber sie, die Sowjets, wollten stets ihren Humanismus<br />

betonen.) Ich erinnere Sie noch daran“, schrieb ich des weiteren, „dass diese<br />

Haltungen den internationalen Verpflichtungen zuwider sind, die ja auch Ihr Land<br />

eingegangen ist. Und sie schaden seinem Ruf als das humanistischste Land der<br />

Welt.“ Nach diesem spöttischen Ende folgten Unterschrift, Rang, Name, mit dem<br />

Zusatz, der die Sowjets auf die Palme brachte: Offizier der Königlichen<br />

Rumänischen Armee.<br />

Ich las meinen P<strong>ro</strong>test wiederholte Male mit Genugtuung, so wie ein<br />

Debütant sein Gedicht liest, dass er an eine Redaktion schicken möchte.<br />

Tatsächlich, es handelte sich um ein Debüt, und was für eines dazu! Auf jeden<br />

Fall, ich war zufrieden, ich hatte meine Seele gesalzen und der Sowjetmacht das<br />

ins Gesicht geworfen, was ich von ihrem Humanismus hielt. Ich revanchierte<br />

mich für alle erlittenen Beleidigungen.<br />

Das Abendsignal war schon seit langem erklungen, und ich schlief noch<br />

immer nicht. „Wie viele Tage Karzer wird meine literarische Arbeit denn wohl in<br />

den Augen Gristschuks wert sein?“, überlegte ich, und plötzlich verwickelten sich<br />

meine Gedanken zum P<strong>ro</strong>testschreiben mit jenen aus Mutters Brief, mit den<br />

ausgesp<strong>ro</strong>chenen, vor allem aber mit den unausgesp<strong>ro</strong>chenen… Mutter und die<br />

meinen erwarteten mich alle lebend… Und ich befand mich auf der Schwelle<br />

einer Aktion, von der ich nicht wusste, welchen Ausgang sie haben und ob sie<br />

meine Gefangenschaft nicht noch mehr verlängert würde. Und so überkamen<br />

mich plötzlich Bilder aus meinem geliebten Bukarest, und lange Zeit unterdrückte<br />

Sehnsüchte schossen gleich Sirenengesängen kraftvoll an die Oberfläche, bis<br />

ich einschlief.<br />

Und in jener Nacht, am Vorabend der Schlacht, hatte ich erneut einen<br />

seltsamen Traum. Ich war aus dem Bett gestiegen, um urinieren zu gehen.<br />

Draußen hatte sich ein kalter und dichter Nebel niedergelassen, der auch ins<br />

Klosett eingedrungen war, wo sich sonst niemand mehr befand. Plötzlich hörte<br />

ich ein Kinderwimmern und spürte neben mir eine sonderbare, böse Präsenz.<br />

Und in jenem Augenblick löste sich aus der Finsternis und aus dem Nebel eine<br />

riesige Erscheinung. Der immense Mantel, der bis zur Erde reichte, die

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