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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 472<br />

pflegten und vor allem versteckten, eine Tat, die in jener Zeit mit unvorstellbaren<br />

Risiken verbunden war. Quasi wurde er zum zweiten Mal gerettet. Die<br />

Anwesenheit einer jungen, schönen und beherzten Lehrerin, die gerade ihre<br />

Stelle hier übernommen hatte und im Haus, wo er Aufnahme fand, in Miete<br />

wohnte, sollte seiner Geschichte gefühlsmäßige Konnotationen verleihen. Sie<br />

sollte ihm ein Radio mit Batterien beschaffen, an welchem er die Auslandssender<br />

hören konnte, die damals die rumänische Gesellschaft, die vom Kommunismus<br />

mit dem Kopf in den Sack gesteckt worden war, mit Informationen versorgte. Es<br />

war auch diese Lehrerin, die ihm half, mit seinem siebenbürgisch-sächsischen<br />

Heimatdorf Verbindung aufzunehmen, woher er erfuhr, dass die Seinen alle zur<br />

Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert worden waren. Sie sollte ihn auch dazu<br />

bewegen, rapide umzuziehen, als sein Aufenthalt an ein und demselben Ort<br />

anfing, auffällig zu sein. Er hatte nur lobende Worte für die Menschlichkeit und<br />

die heimliche Hilfe, die ihm seitens der gesamten Dorfgemeinschaft zuteil wurde,<br />

und dies nicht ein, zwei Tage lang, sondern über Jahre hinweg. Er flog erst auf,<br />

als die Gemeindeleitung, die bis dahin in den Händen bodenständiger,<br />

vertrauenswürdiger Hofbauern von Charakter gelegen hatte, von den<br />

kommunistischen Machthabern mit Dahergelaufenen, mit Schurken und<br />

Schlägern, mit dem Abschaum der Dorfgemeinschaften ersetzte, im Jargon der<br />

Zeit: mit Leuten, die ein „hohes politisches Niveau“ besaßen und bereit waren,<br />

jegliche Schweinerei zu begehen für jene, die sie zu Bürgermeistern, Chefs und<br />

Parteiaktivisten gemacht hatten.<br />

Ich erinnere mich nicht mehr daran – vielleicht auch habe ich ihn nicht<br />

danach gefragt, was mit der Lehrerin und seinen Gastgebern geschehen ist. Ich<br />

gehe davon aus, dass sie alles andere als glimpflich davon gekommen sind. Auf<br />

jeden Fall war sein einziger, geradezu besessener Wunsch, der Beziehung zu<br />

jener wunderbaren Frau, sowie er wieder heimkehrte, die Legitimität der heiligen<br />

Trauung zu verleihen.<br />

Was seine Situation im Odessaer Gefängnis betrifft, so hatte er unter der<br />

da geführten Untersuchung nicht allzu sehr zu leiden, denn es gibt ja keinen<br />

Gesetzestext, demzufolge derjenige, der einem Massaker überlebt, verurteilt<br />

werden könnte. Man fragte ihn halt <strong>ro</strong>utinemäßig, was er denn noch so für<br />

„Verbrechen“ begangen habe (was für Verbrechen konnte er denn als<br />

Achtzehnjähriger – so alt war er zur Zeit des Massakers – begangen haben, wo<br />

er dazu erst zwei Monate vorher rekrutiert worden war?), dann schloss man<br />

seine Akte und schickte ihn als Ehrengabe zu uns ins Lager. Für uns aber war<br />

jemand von daheim, der drei Monate vorher noch ein „freier Mensch“ gewesen<br />

war und Zugang zu ausländischen Rundfunksendern gehabt hatte, eine<br />

himmlische Gabe. Schlimmer noch als der NKWD presste ich alle Informationen<br />

und Nachrichten zu den aktuellen P<strong>ro</strong>blemen, vor allem auf internationaler<br />

Ebene, aus ihm heraus, in der Hoffnung des Ertrinkenden, es möge sich mir ein<br />

Rettungsring zeigen.<br />

Aber außer den g<strong>ro</strong>ßen politischen Ereignissen schilderte er uns auch<br />

eine Reihe von allerlei Einzelheiten aus dem abwegigen und irrsinnigen Alltag<br />

Rumäniens, die aber weitreichende Bedeutung besaßen und welche er t<strong>ro</strong>tz<br />

seiner Jugend mit wachem Auge registriert hatte. Sie waren es, die uns zeigten,<br />

wie g<strong>ro</strong>ß der Verfall der Lebensumstände und der zwischenmenschlichen

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