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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 381<br />

Da wir eh nicht schlafen konnten, brachen einige von uns, darunter Gabi,<br />

Titu Preotu, Pascu und ich, auf, den Saal anth<strong>ro</strong>pologisch zu erforschen.<br />

Genauer gesagt, wir begaben uns auf die Suche nach dem neuen Menschen,<br />

dem in den sowjetischen Labors für ideologisch-gesellschaftliche Genetik<br />

p<strong>ro</strong>duzierten Humanoiden, den wir in dieser babylonischen Welt zu entdecken<br />

hofften, die hier aus allen Ecken der Union versammelt war und von da in alle<br />

Ecken der Union versprengt wurde. Den ersten Halt machten wir vor einer<br />

Gruppe von Menschen, die auf dem Fußboden ausgestreckt in tiefem Schlaf<br />

lagen, und sich durch folgendes auszeichneten: Jeder schlief mit dem Haupt auf<br />

dem Hintern eines anderen. Vor allem ein sowjetischer Major zog unsere<br />

Aufmerksamkeit auf sich, der mit offenem Rock, an dem unter Zellophan ein<br />

Arschvoll Orden prangten, und mit dem Napf in der Hand auf dem<br />

monumentalen Hintern einer dicken Hasaika schlief, die erderschütternd<br />

schnarchte. Da meine Begleiter zufällig junge aktive Offiziere waren, fragte ich<br />

sie denn:<br />

„Was sagt ihr zur Haltung des Genossen Major und welche Sanktionen<br />

würde in einem solchen Fall unsere Kommandantur verhängen?“ (Diese war<br />

äußerst streng. Ein Offizier durfte nicht einmal das kleinste Paket in den Händen<br />

tragen.) Aber sie kamen nicht dazu, mir zu antworten, als ich hinter mir in einer<br />

schönen rumänischen Sprache die Frage hörte:<br />

„Sind Sie Rumänen?“<br />

Ich wandte mich um. Eine junge und schöne Frau, mit einem Kleinkind auf<br />

dem Arm, saß auf ihrem Gepäck. Sie hatte ein typisch rumänisches Aussehen,<br />

mit braunen Augen und jenem warmen und hingebungsvollen Blick, den du erst<br />

als den unsrigen erkennst, nachdem du lange Zeit unter Fremden verbracht hast.<br />

Ihre Geschichte war traurig, so wie es alle Geschichten der Bessarabier waren,<br />

die aus ihren Häusern und von ihren Feldern weggerissen und in die gef<strong>ro</strong>renen<br />

Wüsten Sibiriens versprengt wurden. Dies geschah im verfluchten Jahr 1940.<br />

Damals war sie gerade mal 15. Ihre Eltern starben ihr nacheinander. Um<br />

heimkehren zu können, hatte sie zum klassischen Mittel gegriffen: die<br />

Schwangerschaft. Da nach sowjetischem Gesetz die Frau, die im Lager ein Kind<br />

gebar, freigelassen wurde, hatte sie es irgendwie angestellt, schwanger zu<br />

werden. Weniger als ein Jahr nach der Geburt des Kindes, ein Mädchen, ließ<br />

man sie heimkehren. Sie war aus Sibirien mit dem gleichen Zug wie auch wir<br />

gekommen.<br />

„Sie haben mich nun nach Hause gelassen, nach sieben Jahren. Aber wer<br />

weiß, was ich zu Hause vorfinden werde?“ Sie blickte auf das Kind: „Gut, dass<br />

der Vater, den ich ihm gab, ein Rumäne war.“<br />

Wir gaben unsere Forschungen auf und kehrten zu den unsrigen zurück,<br />

erzählten ihnen die Geschichte mit der Frau und sammelten eine Spende für das<br />

Kind. Es kamen mehr als hundert Rubel zusammen. Die Frau dankte uns mit<br />

Tränen in den Augen.<br />

Am Morgen darauf kam unser Deutscher und sagte uns verärgert, dass<br />

am laufenden Tage kein Weiterkommen in Sicht und auch für den nächsten Tag<br />

nichts sicher sei. Er war besorgt darüber, dass sich unser Aufenthalt<br />

hinauszögerte und wir ohne P<strong>ro</strong>viant blieben.

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