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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 440<br />

122. Man legt uns „Akten“ an<br />

In einem der Zimmer im Erdgeschoß des ehemaligen Landgutes, das nun<br />

das Verwaltungsgebäude des Lagers war, befand sich ein besonders<br />

eingerichteter Raum. Es gab da eine Fotografierkabine, ein kleines Labor zur<br />

Abnahme von Fingerabdrücken, eine Waage und eine Höhenmesslatte,<br />

Schreibtische, Karteikästen, Akten, kurz: die gesamte Apparatur zur<br />

Umwandlung eines „Kriegsgefangenen“ in einen „Kriegsverbrecher“.<br />

Wir wurden alle in dieses Bü<strong>ro</strong> bestellt, einer nach dem anderen wurden<br />

wir gezwungen, uns einem neuen Spießrutenlauf neben all denen zu<br />

unterziehen, an den wir in unserer sowjetischen Gefangenschaft teilgenommen<br />

hatten, wurden erneut wie Gauner, wie gemeinrechtliche Sträflinge behandelt,<br />

denen man die Fingerabdrücke abnimmt (als ob diese über all die Jahre hin<br />

hätten intakt bleiben können auf den angeblichen Corpi delicti und die man<br />

ablichtet (von vorne, Rechtsp<strong>ro</strong>fil, Linksp<strong>ro</strong>fil), um die Fotos in den öffentlichen<br />

Lokalen auszuhängen, mit der Bemerkung: „Wer kennt sie?“<br />

Manche empfanden diesen Vorgang als eine Demütigung, aber das<br />

verfolgte ja die Verwaltung auch.<br />

Ich jedoch – aber nicht nur ich – war anderer Meinung. Solange wir selber<br />

uns nicht demütigen, kann nichts und niemand uns demütigen. (Ein betrunkener<br />

Tschassowoj, der mir ins Gesicht spuckt, kann mich nicht demütigen. Bettele ich<br />

ihn aber um eine Kippe Machorka an, und er wirft sie mir spuckend zu, was ja<br />

leider jemandem mit vielen Tressen auf der Schulter passiert ist, dann werde ich<br />

gedemütigt. Denn ich habe mich selbst in eine demütigende Situation gebracht.)<br />

Demütigung hin, Demütigung her, eines schien uns klar: Durch diese<br />

Gauklereien konnte man gegen jeden von uns ein Strafverfolgungsverfahren<br />

einleiten, eine Perspektive, die wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen<br />

schwebte, solange wir in Michailowo „weilten“ (wo es ansonsten nicht so schlimm<br />

war, verglichen mit anderen „Höllenkammern“, durch die wir bis dahin gekommen<br />

waren).<br />

Schließlich aber wurde bis zu unserem Weggang keiner von uns mit der<br />

Akte am Hals zum Tor gebracht, um vor wer weiß welche als Marionetten<br />

verkleidete Militärrichter geschickt zu werden, so wie es zu jener Zeit in anderen<br />

Lagern, ohne dass wir davon wussten, mit anderen Rumänen passierte. Ein Jahr<br />

lang jedoch, solange wir in Michailowo waren, verspürten wir unentwegt diese<br />

Bed<strong>ro</strong>hung.

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