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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 134<br />

konnte, war die Tatsache, dass es in diesem Delirium von Irrsinn und Tod noch<br />

„menschliche“ Wesen gab, also die „Sanitauren“, die bereit waren denen, die<br />

noch nicht erkaltet waren, die (Ehe)Ringe und Medaillons, alles, was der<br />

diebischen Plünderung genannt Leibesvisitation entgangen war, von den Händen<br />

oder vom Hals rissen. «Die sterben ja sowieso, warum sollen die in der<br />

Leichenhalle oder die Totengräber sich diese Stücke aneignen?» - war ihre<br />

Rechtfertigung. Einer von ihnen, und zwar der aktivste und makaberste<br />

Goldsucher, hatte 15-20 solcher T<strong>ro</strong>phäen auf einem Drahtring gesammelt und<br />

prahlte damit vor seinen Beutekumpels. Nun gut, an dem Tag, als ich entlassen<br />

wurde, erwischte diesen der Typhus. Ein paar Tage später hörte ich, dass er<br />

gestorben war. Was mag wohl mit dem Schatz geschehen sein, den er<br />

zusammengerafft hatte, als er nackt und f<strong>ro</strong>ststarr selber auch auf einem<br />

Leichenstapel neben denen landete, die er geplündert hatte? Andere «Sucher!<br />

konnten ihre Beute behalten und, aufgepasst!, nahmen sie mit an die F<strong>ro</strong>nt mit<br />

der Tudor-Vladimirescu-Division, von der bekannt ist, was ihr bei Debrecen<br />

widerfuhr. Wie viel Glück dies gestohlene Gold ihnen dort gebracht hat, mag Gott<br />

allein wissen.“<br />

„Haben denn wirklich alle Sanitäter sich so benommen?“<br />

„Du hast nicht aufgepasst. Ich sprach nicht von Sanitätern, sondern von<br />

«Sanitauren», also von dieser Spezies schänderischer Schakale, für die nichts<br />

heilig war. Sie gingen sogar so weit, dass sie manchen Alten (wie etwa einem<br />

armen ungarischen Oberst, der neben mir lag) auch noch die Goldk<strong>ro</strong>ne aus<br />

dem Mund rissen. Selbstverständlich gab es unter den Sanitätern auch<br />

anständige Menschen. Einer davon, der, als er sah, dass ich noch am Leben<br />

war, half mir zu genesen, indem er mir das Essen und das B<strong>ro</strong>t derer gab, die<br />

nicht mehr essen konnten. Auch benahmen sich nicht alle Schwestern wie<br />

Marussia, Engel und Diebin in meiner Halluzination. Es gab auch unter ihnen<br />

hilfsbereite Frauen, die alles ihnen Mögliche taten – allerdings war leider nicht<br />

gerade viel möglich –, um die Seuche einzudämmen. Deswegen gehört es sich<br />

auch nicht, zu verallgemeinern, um das Schandmal, das einige Schurken voll<br />

verdienten, nicht auch den anständigen Menschen anzuheften“, schloss mein<br />

Freund Liiceanu seine finstere Geschichte.<br />

In unserem Schlafsaal herrschte inzwischen eine dumpfe Atmosphäre. Es<br />

stimmt, dem Herrn sei Dank, dass in unseren Reihen kein Typhusfall verzeichnet<br />

wurde. Da die Seuche sich aber mit Hilfe der Läuse verbreitet, hatte ein jeder<br />

von uns das Gefühl oder die Einbildung, diese ekelhaften Parasiten auf seiner<br />

Haut zu spüren, und um sie aufzustöbern, zogen wir unser Hemd aus und<br />

durchsuchten es minutiös bis zur letzten Naht, waren die Nähte ja das<br />

bevorzugte Versteck des perfiden Insekts. Natürlich fanden wir, glücklicherweise,<br />

nichts, existierte unsere Laus ja bloß in unserem Hirn, aber der Ter<strong>ro</strong>r oder<br />

Selbstter<strong>ro</strong>r, den sie auslöste, war dadurch keineswegs geringer. Was für ein<br />

Geisteszustand, welche Panik mag wohl in den Schlafsälen geherrscht haben, in<br />

denen es tatsächliche Typhusfälle gab? Wie mögen jene sich nur gefühlt haben,<br />

als die schreckliche Seuche, welche einem – anfangs wenigstens – keine<br />

Überlebenschance ließ, ihre Bettnachbarn erwischte, und diese dann auf der<br />

Bahre hinausgetragen wurden? „Die Seuche“, diese Plage der Apokalypse,

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