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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 509<br />

143. Die drei Zeichen<br />

Ich kann mich nicht daran erinnern, den Bahnhof von Sighet gesehen zu<br />

haben. Wahrscheinlich hatte man unsere Güterzuggarnitur in der Art des NKWD<br />

wohlweislich so weit weg vom Bahnhof wie nur irgend möglich angehalten. Und<br />

nun marschierten wir auf der Landstraße langsam Richtung Stadt, damit auch die<br />

Schwächsten, die Alten, die Kranken, die Invaliden Schritt halten konnten, ein<br />

jeder von jemandem gestützt, der besser bei Kräften war. Ich etwa half Ciufu,<br />

meinem Oberst, der sich sichtlich bemühte, aufrecht zu gehen und Haltung zu<br />

wahren. Die Mittagssonne legte voller Grausamkeit das ganze Elend dieses<br />

wandelnden Haufens von Menschen und Gepäckstücken, von Mützen und<br />

Pelzen, von verschimmelten Mänteln mit von Grünspan überzogenen<br />

Offiziersgraden auf den Epauletten, abgenutzte Überbleibsel aus einer anderen<br />

Zeit und einer anderen Welt, Überreste einer g<strong>ro</strong>ßen Armee, die vom<br />

Kataklysmus der Geschichte geschluckt worden war und nun peinlich auf dem<br />

Weg zurück in die Vergangenheit marschierte.<br />

Unterwegs schrumpfte die Distanz zwischen der Gefangenenkolonne und<br />

dem Kordon der Eskorte zunehmend, bis sie sich gänzlich auflöste, und unsere<br />

jungen Begleiter, voller Neugier, dies unerhörte menschliche Material (das wir<br />

darstellten!) sowie das Unbekannte, aus dem wir herkamen, zu erforschen,<br />

mischten sich unter uns. Nach anfänglichem Zaudern und Zögern kam es<br />

schließlich zu einem Funken geflüsterten Dialogs zwischen den beiden Welten,<br />

vor allem auch dank dessen, dass der Konvoichef, ein Hauptmann mit Blau an<br />

der Schirmmütze, verärgert über die Langsamkeit unseres Ganges, sich vom<br />

Kopfende der Kolonne entfernt hatte und mit seinem Begleiter in ein Gespräch<br />

vertieft war. Dies war ein Mann in Zivil, der unter dem Arm eine dicke Tasche<br />

trug, die Tasche mit „unseren Schatten“, den vom NKWD angelegten Akten, die<br />

der Securitate, dem Geheimdienst unserer jungen Volksrepublik, übergeben<br />

werden sollten.<br />

„Wie viele Jahre habt ihr denn bei ihnen verbracht?... Was? Neun Jahre!...<br />

Hört her, neun Jahre… die Armen!... Und sind viele von euch gestorben?... Und<br />

was bekamt ihr denn dort zu essen?...“ „Uns hat man aufgetragen, euch nicht<br />

aus den Augen zu lassen, weil ihr schlimmer als die Banditen aus den Bergen 189<br />

seid.“ Das war es, was ich vor und hinter mir im Flüsterton zu hören bekam.<br />

Plötzlich wandte sich mein Oberst an einen Soldaten, ein Jüngling, der<br />

rechts von ihm einherging.<br />

„Was machst du denn, Kamerad, weinst du?“<br />

Da blickte auch ich ihn an und sah, wie er sich mit dem Mantelärmel die<br />

Augen wischte.<br />

„Warum nur musste gerade ich es sein, der Euch mit aufgepflanztem<br />

Bajonett gleich Deserteuren eskortieren muss, gerade Euch, die Ihr für dieses<br />

189 Anspielung auf die antikommunistischen Widerstandskämpfer aus den Karpaten, die bis in die 1950er<br />

Jahre hinein das neue Regime bekämpften.

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