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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 118<br />

Altgefangenen nicht sabotiert zu werden). So etwa befanden sich, als wir zum<br />

Klub aufbrachen, die beiden „Kollaborateure in spe“, die p<strong>ro</strong>grammiert worden<br />

waren, das Wort zu ergreifen, nicht mehr im Schlafsaal. Wo waren sie aber in<br />

jenem Augenblick? Bestimmt nirgendwo anders als in der Küche, mit der<br />

Schnauze in wer weiß was für leeren Kesseln, um von deren Boden mit dem<br />

Löffel die letzten Kascha-Reste loszukratzen – der Lohn ihrer Kollaboration.<br />

Sichtlich genervt von dieser Panne, flüsterte der Kommissar mit den<br />

Beisitzern von rechts und von links und forderte sie auf, selbst das Wort zu<br />

ergreifen, um uns dazu anzuhalten, unsere Gleichgültigkeit und Apathie, hinter<br />

denen wir uns verschanzt hatten, aufzugeben. Wenn die beiden vorherigen<br />

Sprecher nichts anderes zu tun hatten, als eine auswendig gelernte Lektion<br />

aufzusagen, mussten diese Unglücksvögel mit ihren verfetteten Hirnen nun aber<br />

auch imp<strong>ro</strong>visieren. Was dann folgte, war ein Sprachdelirium in der Art<br />

Caragiales 61 , worin sich verstaubte Patriotismusrhetorik mit marxistischem<br />

Phrasengut sowie pathetischen Aufrufen vermischten, unsere Passivität doch<br />

aufzugeben. Diesem subkulturellen Cocktail fehlten weder die grammatikalischen<br />

Unstimmigkeiten, noch Gestotter und viele „Äh“-s, die wiederholt Gelächter<br />

hervorriefen. Den Gipfel der Heiterkeit jedoch erreichte die Ansprache eines<br />

Zigeuners, der außerhalb des Lagers arbeitete, in der Hufeisenschmiede des<br />

Dorfes. Er war der einzige Soldat im Präsidium, in das man ihn aus populistischdemagogischen<br />

Kalkülen eingeladen hatte. Um den Leuten zu zeigen, wie<br />

demokratisch die Genossen denn sind!<br />

Die Sprache des Zigeuners war unberührt von der marxistischen oder der<br />

patriotischen Rhetorik. Sie war einfach, genuin, wie im Zigeunerlager. Er kam<br />

uns gefühlvoll: „Ojee, die Herren Offiziere. Ein g<strong>ro</strong>ßes Elend ist’ s mit den<br />

Deutschen in unserem Lande. Steigt doch ruuunter von eurem Ast! Greift zur<br />

Waffe! Denn wenn nicht ihr sie aus dem Land werft, wer soll’s denn tun? Die<br />

Russen? Na, sie, die Armen, sie können sie ja nicht einmal bei sich zu Hause<br />

rausschmeißen.“<br />

Der letzte Satz, der alles annullierte, was er bis dahin über die<br />

Sowjetmacht gesagt hatte, löste ein tosendes Gelächter aus, dem Beifall aus<br />

dem ganzen Saal folgte. Der Zigeuner lächelte breit und verbeugte sich wie ein<br />

Schauspieler, der auf offener Bühne den Applaus entgegennimmt, nach rechts<br />

und nach links.<br />

Angesichts dessen sprang Codler blau vor Zorn von seinem Stuhl,<br />

streckte gleich einem römischen Redners seine Rechte dem Saal entgegen und<br />

forderte gebieterisch Ruhe. Selbstverständlich hatte er die Gefahr gewittert, dass<br />

all seine politische Arbeit während der Quarantäne nun von einem Augenblick<br />

typisch rumänischen Spotts geschluckt werden konnte. Anstatt zu konstruktiven<br />

Vorschlägen zu führen, riskierte das Ende dieser „historischen“ Sitzung ins<br />

Lächerliche abzugleiten. (Übrigens, der witzige Ausspruch des Zigeuners war<br />

nicht gerade originell. Er hatte bereits die Runde gemacht in unserem Lager – ja<br />

sogar auch in anderen, wo das gleiche Thema diskutiert worden war – allerdings<br />

61 Ion Luca Caragiale (1852-1912) gilt als der bedeutendste Dramatiker und bedeutender Erzählklassiker<br />

Rumäniens.

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