04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 271<br />

Etage, wo wir aneinandergekuschelt unter Mänteln und Pelzen es uns<br />

erträglicher machten. Völlig erschöpft sanken wir in einen tiefen und traumlosen<br />

Schlaf. Es war kurz vor Weihnachten, die vierte Weihnacht in der sowjetischen<br />

Sklaverei.<br />

Am Tag darauf teilte der Starsch des Lagers, ein deutscher Offizier (die<br />

Dienste wurden von den Deutschen und den Österreichern gesichert) uns<br />

niedrigere Offiziere (ausgenommen Anghelide – warum wohl?) der berühmten<br />

Elfenbein-Schlepperbrigade zu, das hieß also wie Ochsen vor einen Schlitten<br />

gespannt eine Ladung von Baumstämmen durch kniehohen Schnee zu ziehen.<br />

Mein Gespanngenosse, mit dem ich ein perfektes Zugtierpaar bildete, war Victor<br />

Clonaru. Uns fiel die Episode mit dem Roten Wald 129 aus dem Primärunterricht<br />

ein, wo die polnischen Adligen von Stefan dem G<strong>ro</strong>ßen 130 ins Joch vor einen<br />

Pflug gespannt werden und ackern müssen. Nun aber, mit dem Geschirr um den<br />

Hals, waren wir nicht mehr so stolz auf diese Tat unseres g<strong>ro</strong>ßen Wojwoden.<br />

Alles in der Geschichte wird bezahlt, auch 500 Jahre später. (Warum aber<br />

mussten denn wir, unsere so sehr heimgesuchte Generation zahlen, und wann<br />

wird denn dieses dämonische Reich, das fast einen Kontinent in einen <strong>ro</strong>ten<br />

Wald verwandelt hat, seine „Rechnung“ vorgelegt bekommen?)<br />

Die Anstrengung war fürchterlich, die Schreie und Flüche der<br />

Tschassowojs höllisch; all dem F<strong>ro</strong>st zum T<strong>ro</strong>tz waren wir klitschnass vor<br />

Schweiß. Wir bissen die Zähne zusammen und zogen weiter am Schlitten.<br />

Victor, dessen Geduldfaden eher riss, war auf dem Gipfel der Erbitterung<br />

angekommen und wollte sich in den Schnee sinken lassen und nicht mehr<br />

ziehen. Ich musste mit ihm kämpfen, um ihn davon zu überzeugen, auf eine Tat<br />

zu verzichten, die fatale Folgen haben konnte.<br />

„Victor, den Russen hier hat im Winter nicht einmal Napoleon etwas<br />

anhaben können. Aber ich schwöre dir, im Sommer kriegen sie einen Salat von<br />

uns, der ihnen eine traurige Berühmtheit bescheren wird. Nun aber sammle Zorn<br />

für den Tag des Zornes!“<br />

T<strong>ro</strong>tz meiner rhetorischen Tapferkeit jedoch sanken auch meine Kräfte<br />

Tag für Tag. Ich verbrannte wie Wachs. Damals habe ich sie kennen gelernt, die<br />

Auswirkungen dieser biblischen Plage, der Erschöpfung. Es war, als legte sich<br />

mir ein Nebel über Augen und Hirn. Ich ging mechanisch, wie ein Automat, ging<br />

schwankend mit völlig gedankenleerem Kopf dahin. Gelangte ich zurück ins<br />

Lager, hatte ich einen einzigen Wunsch: zu schlafen. Gespräche führen? Lesen?<br />

Nein, danke. Sogar von Tisch wusste ich nicht, wie ich schnell genug<br />

wegkommen konnte, um zu schlafen. Es war auch, als hätte ich keinen Hunger<br />

mehr, so erschöpft war mein Organismus. Zu schlafen und zu schlafen, das war<br />

alles, was ich mir wünschte, sei es auch der Schlaf der Erde.<br />

Einmal, da mein Hirn von den Giften der Müdigkeit ausgeschaltet war, fiel<br />

ich hin. Einfach so fiel ich hin, wie ein Rind im Geschirr. Wie im Traum hörte ich<br />

die Flüche des Tschassowojs, aber bevor seine Gewehrkolbenschläge über<br />

meinen Rücken niedergingen, fühlte ich, wie sich jemand über mich beugte, mich<br />

aufhob, mir das Geschirr abnahm und sich selber einspannte. Es war ein junger,<br />

129 Dumbrava Ro!ie, Gedicht von Vasile Alecsandri.<br />

130 $tefan cel Mare (1433-1504) war der vierte und berühmteste Fürst der Moldau.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!