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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 495<br />

139. Das Gemälde mit Kühen<br />

Viele von den Rep<strong>ro</strong>duktionen der bekannteren Meisterwerke der<br />

klassischen russischen Malerei (Repin, Gerasimow, Surikow) gingen damals<br />

durch unsere Hände. Darunter befand sich auch eine Landschaftsbild, dessen<br />

Autor mir entfallen ist, das eine Herde gefleckter Rinder darstellt, die zur Tränke<br />

an einem klaren Bächlein im Schatten eines Wäldchens weilt. Den Auftrag<br />

bekamen wir von einem Natschalnik, einem Betriebschef, über einen Soldaten,<br />

der die Sanitäreinrichtung in seinem Bü<strong>ro</strong> umbaute. Die gelungene Rep<strong>ro</strong>duktion<br />

fertigte Oleg auf Leinwand an. Bis wir sie aber an den Mann brachten, bzw. bis<br />

unser Mann den passenden Moment fand, das Gemälde aus dem Lager zu<br />

schmuggeln, hatten wir es über dem Eingang aufgehängt, wo es mit bösen<br />

Augen auch der „<strong>ro</strong>te Mensch“ lange betrachten sollte, der uns auf dem Kieker<br />

hatte. Endlich kam auch der passende Augenblick. Der Soldat nahm das<br />

Gemälde aus dem Rahmen, wickelte es zusammen und steckte es unter sein<br />

Hemd, um es dann im Kabinett des Auftraggebers gemäß unseren Anleitungen<br />

wieder einzurahmen. Er schaffte es vor unseren Augen p<strong>ro</strong>blemlos außer Lager.<br />

Am Abend aber, als die Arbeitsbrigaden ins Lager zurückkehrten, kam der Soldat<br />

ersch<strong>ro</strong>cken zu uns, um uns mitzuteilen, dass der „<strong>ro</strong>te Mensch“, der genau an<br />

jenem Tag an einer der Arbeitsstätten in der Stadt auf Kont<strong>ro</strong>lle war, das Bü<strong>ro</strong><br />

des Natschalniks betreten, der die Bestellung aufgegeben hatte, und unsere<br />

„Kühe“ gesehen habe, die frisch eingerahmt im Schutze der Bilder Stalins und<br />

Lenins hingen.<br />

„Die ist ein bei uns im Lager von Gefangenen gemaltes Gemälde. Wie bist<br />

du dazu gekommen?“, habe er den Natschalnik in inquisitorischem Ton gefragt.<br />

Der Betreffende habe sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und geantwortet, er<br />

habe es auf dem Basar erstanden. „Gut! Wir werden sehen!“, habe der andere<br />

d<strong>ro</strong>hend erwidert.<br />

„Dies bedeutet“, fügte der Soldat hinzu, „dass dieser Schurke morgen früh<br />

zu Ihnen kommen wird, und wenn er erfährt, dass das Gemälde von hier stammt,<br />

dann ist es um den Natschalnik geschehen. Bestimmt verliert er seinen Posten.“<br />

Alleine geblieben beschlossen wir, den armen Mann zu retten und dafür<br />

die Kühe neu zu malen – und dies bis nächsten Morgen – und sie über der Tür<br />

aufzuhängen, wo sie der <strong>ro</strong>te Mensch zuletzt gesehen hatte. Gesagt, getan.<br />

Allein, jetzt erst begann das Unglück. Wir hatten keine vorbereitete Leinwand.<br />

„Los, bereiten wir die Leinwand vor!“ Aber wir hatten kein gekochtes Leinöl, das<br />

schnell t<strong>ro</strong>cknet, sondern bloß ungekochtes, das erst mit der Zeit t<strong>ro</strong>cknet, und<br />

Zeit hatten wir kaum. Was nun?<br />

Wir präparierten die Leinwand mit dem, was wir hatten und malten als<br />

absolute Premiere für die Ölmalerei auf einer unget<strong>ro</strong>ckneten Unterlage. Oleg,<br />

der das Thema kannte, skizzierte die Komposition und trug jedem von uns auf, je<br />

ein Viertel des Gemäldes auszumalen. Wir arbeiteten schweigend alle vier<br />

gleichzeitig, als wir plötzlich feststellten, dass die Farben wegen dem frischen<br />

Untergrund zu fließen anfingen und die Formen, gerade so, als durchfahre sie

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