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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 298
77. DER STOLZ UND DIE SCHANDE, RUMÄNE ZU SEIN
Man hatte schon seit geraumer Zeit den Zapfenstreich geblasen, und der
Schlaf wollte sich nicht auf meine Lider lassen. Freilich, die ganze Inszenierung
vor dem Gitterfenster war eine simplistische Farce, und niemand nahm die
ausgesprochenen Drohungen ernst, nicht einmal die Sprecher. Trotzdem aber
war es ein deprimierendes Schauspiel, das mir einen bitteren Nachgeschmack
bescherte. Ich konnte nicht umhin, das superbe Bild der Gebirgsgrenzwächter,
die auf Bahren heraus getragen wurden, dies aber siegreich, nach einem Kampf
auf Leben und Tod für jenes Minimum an Würde, ohne das man nicht leben
kann, mit der Niedertracht der Brandmarkung eines an der Leine gehaltenen und
gegen uns aufgehetzten Rudels von Kötern zu vergleichen.
Der obige Vergleich aber mit jenen, die„Kreuzige Ihn!“ gerufen haben ist
nicht haltbar und tut den Juden unrecht. Jene waren wenigstens überzeugt von
der Schuld des Erlösers, und alles, was sie Ihm angetan haben, haben sie aus
Überzeugung und Fanatismus getan – selbst wenn diese Überzeugung eine
falsche war. Alles was unsere Landsleute uns jedoch angetan haben, haben sie
nicht aus Überzeugung, sondern aus Kriecherei getan. Und dennoch, mein Gott,
sowohl jene aus dem Karzer, als auch jene vom Meeting waren Rumänen.
Ich blickte zum Fenster an der Vorderseite, zum Karzer hin, und war stolz,
Rumäne zu sein.
Ich blickte zum Fenster an der Rückseite, zum Garten hin, und schämte
mich, Rumäne zu sein.
Welches ist dann, Gott, die korrekte Haltung, der Stolz oder die Scham,
Rumäne zu sein? Wahrscheinlich bringt der Stand, ein Rumäne zu sein und als
solcher zu existieren, die Verpflichtung mit sich, alle Passiva und alle Aktiva
dieses Zustands zu akzeptieren und der Reihe nach – je nach Umstand, ohne
Dünkel, aber auch ohne zu verzweifeln – mal Stolz, mal Schande zu verspüren.