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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 104<br />

Männer mit der T<strong>ro</strong>phäe, den dampfenden Kübeln und den B<strong>ro</strong>tkisten. Den Zug<br />

schlossen die Knüppel schwingende Prätorianergarde und restlichen freiwilligen<br />

Verteidiger, allesamt im Gleichschritt schreitend. Sie wurden mit Beifall und<br />

Hurrarufen begrüßt.<br />

Derartige Zwischenfälle gab es täglich. Sie waren die Folge des<br />

furchtbaren Hungers, der sich im Lager eingenistet und den Menschen den<br />

Verstand verdunkelt hatte, allen voran den einfacheren unter ihnen. Der Hunger<br />

entfesselte die Primärinstinkte und machte sie zu Raubtieren. Wie wirklich diese<br />

Hungerszeit war, sollten wir gleich bei dieser ersten Mahlzeit feststellen. Das<br />

Gerstenb<strong>ro</strong>t, schwarz, unaufgegangen und feucht, war schwer wie Blei. Die 400-<br />

Gramm-Ration hatte das Volumen einer gewöhnlichen B<strong>ro</strong>tscheibe von 200 gr.<br />

Die saure Fischsuppe war eine durchsichtige Flüssigkeit, und am Boden des<br />

Essnapfes konnte man ichthyologisch interessante Reste, genauer: Skelette von<br />

dem sichten, was einst unsere anämische Fischration dargestellt hatte und die<br />

vom Gemeinschaftskessel geschluckt worden war. Wenn uns aber exklusive die<br />

Gräten zukamen, wo blieb dann das Fleisch? Die Antwort darauf sollten uns<br />

diejenigen geben, die das Essen gebracht hatten. Als sie darauf warteten, an die<br />

Reihe zu kommen, um die Kübel durch das Fenster in die Küche zu reichen,<br />

hatten sie ausreichend Zeit, um die wohlgenährten stiernackigen Köche zu<br />

bewundern. (Woher es dann auch nicht weit war bis zu der Wortkreation<br />

Kochse 54 .) Dort konnten sie dann auch das Spiel mit Essnäpfen, Eimern und<br />

Eimerchen verfolgen, die mit Empfehlungen wie Wäscherei, Friseur, Sanitäter,<br />

Schusterwerkstatt usw. durch das Küchenfenster geschoben und mit mehr<br />

Fleisch denn Suppe gef\llt wurden. Also denn, unsere Fischrationen wurden im<br />

gleichen Kessel gekocht, aus dem dann die flinken Hände der Kochsen für die<br />

einen das Fleisch rausfischten und den anderen bloß die Gräten in klarer Suppe<br />

hinschoben. Da blieb nur noch eins übrig: zu verlangen, dass man unseren Fisch<br />

nicht mehr in den Kessel gab, sondern ihn uns direkt überreichte, so wie dies<br />

während des Transportes geschehen war. „Den Fisch auf die Hand!“, sagte denn<br />

auch jemand passend, und dieser Slogan wurde sofort auch von den hunderten<br />

von Gefangenen wiederholt, die wir in jenem Schlafsaal waren; ja, mehr noch, er<br />

wurde auch von den benachbarten Schlafsälen angenommen, mit denen wir<br />

durch die Trennwände des Gemeinschafts-WCs kommunizierten. „Den Fisch auf<br />

die Hand!“ wurde in kurzer Zeit ein revolutionärer Leitspruch, der im ganzen<br />

Lager umging, von allen angenommen und ausgerufen, ausgenommen die<br />

Günstlinge der Verwaltung. Man könnte sagen, dass dies der erste klare P<strong>ro</strong>test<br />

gegen die Lagerleitung war, die uns das Essen vom Mund weg raubte, um ihre<br />

Klientel von Denunzianten und Kollaborateuren auszuhalten. Deswegen war der<br />

Kampf auch kein leichter, ging es doch in erster Linie um ein Politikum. Zwischen<br />

dem primären Versuch derer aus S\rata, uns die Nahrung durch<br />

Banditenangriffe zu entreißen, und der perfiden Aktion der vom Politikum<br />

gedeckten Kochsen, sie uns mittels selektiver Handhabung der Schöpfkelle zu<br />

nehmen, schien mir letztere die widerwärtigere. Anfangs wendeten wir uns, was<br />

ja auch normal war, an den Starsch. Dieser gab uns Recht und versprach, es der<br />

Lagerleitung zu melden, tat aber nichts. Es kam auch der Abendappell, und er<br />

54 Wortspiel im Original: buc"tar (Koch) plus taur (Stier): buc"taur.

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