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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 103<br />

24. DIE QUARANTÄNE<br />

Nachdem wir in dem für uns bestimmten Gebäude ankamen, in dem wir<br />

diejenigen vorfanden, die vor uns gebadet hatten, bereiteten wir uns beim trüben<br />

Licht einer Pet<strong>ro</strong>leumlampe auf die Nacht vor. Im Schlafsaal gab es<br />

doppelstöckige Bettengruppen mit je acht Plätzen, vier oben, vier unten. Ich<br />

wählte mir ein Bett von oben. Vor mir hatte ich ein Fenster, durch das ein<br />

Stückchen Himmel zu sehen war. Es war am Vorabend des Dreikönigsfestes. Ich<br />

erinnerte mich daran, dass ich als Kind in dieser Nacht aus meinem Bett aus<br />

dem Fenster guckte, angestrengt drauf bedacht, nicht einzuschlafen, um den<br />

Augenblick nicht zu verpassen, wenn sich der Himmel öffnet, sich sein Licht über<br />

die Erde ergießt und die Engel sich zeigen. Ich versuchte auch jetzt, wie in<br />

meiner Kindheit, diesen begnadeten Augenblick zu erhaschen. Aber die Himmel<br />

öffneten sich in dieser Nacht nicht mehr. Wenigstens solange nicht, bis ich<br />

einschlief.<br />

Am Morgen, als wir geweckt wurden, war es draußen noch stockfinster,<br />

aber die Glühbirnen des Schlafsaales brannten bereits und ihr schwaches und<br />

trübes Licht enthüllte voller Grausamkeit die Misere, in der wir unser Leben<br />

fristen sollten. Jemand bat uns, einen Moment still zu sein und stellte sich vor:<br />

Hauptmann Cristian M., Gefangener seit 1941, von der Verwaltung zum Starsch<br />

(Chef) unseres Schlafsaales ernannt. Er teilte uns dazu noch mit, dass wir die<br />

nächsten drei Wochen in Quarantäne sein werden – so wie dies mit jedem<br />

Neuzugang im Lager üblich war – und dass wir mit niemandem von außen<br />

Kontakt aufnehmen und das Gebäude nicht verlassen durften – außer für den<br />

WC-Gang. Dies alles sagte er nur für uns, die zuletzt Angekommenen, denn den<br />

anderen hatte er sich bereits am Abend vorgestellt und mit ihnen auch schon das<br />

Team zusammengestellt, welches das Frühstück holen sollte. Das Team bestand<br />

aus einer beeindruckenden Anzahl von Männern, die sich denn auch aufgeregt<br />

zwei Kübel und ein paar kleine B<strong>ro</strong>tkisten schnappten und damit losgingen, mit<br />

dem Starsch an der Spitze. Ihnen folgten vier andere, noch kräftigere Kerle mit<br />

g<strong>ro</strong>ßen Knüppeln ausgerüstet. Etwas stutzig blickte ich meinen Bettnachbar<br />

fragend an, was das wohl zu bedeuten habe? Und dieser klärte mich auf, dass in<br />

einem Gebäude, in dem nur Soldaten untergebracht waren, sich eine Zigeuner-<br />

und Diebesbande aus S\rata zusammengetan hatte, die im Schutze des Dunkels<br />

die Männer, welche das Essen holten, angriffen und vor allem das B<strong>ro</strong>t<br />

wegstahlen; dies wenigstens hatte der Starsch behauptet. Deswegen also<br />

mussten uns eine Schutzgarde gebildet werden. Es waren noch nicht zehn<br />

Minuten seit unserem Gespräch vergangen, als die Tür aufging und im<br />

Türrahmen die ersch<strong>ro</strong>ckene Figur des Starsch erschien: „Auf, Leute!“, rief er,<br />

„die Räuber von S\rata greifen uns an.“ Zehn bis fünfzehn Jungs, die der Tür<br />

näher waren, sprangen auf und stürzten hinaus zum Ort des Zusammenstoßes,<br />

der dann nicht mehr stattfand, da die Angreifer, nunmehr in der Minderheit, sich<br />

zurückzogen. Das Aufgebot betrat siegreich den Schlafsaal. An der Spitze schritt<br />

martialisch und superb wie Radames in der Aida der Hauptmann. Ihm folgten die

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