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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 342<br />

eingeschlossen, stürzten wir zu Vonica, um zu erfahren, was ihm der ungarische<br />

Adjutant denn zugeflüstert hatte.<br />

„Brüder, haltet euch fest! Aus Ioschkar-Ola (die Hauptstadt der Republik<br />

Maritzkaja) ist ein Oberst einget<strong>ro</strong>ffen, der nicht weniger und nicht mehr als der<br />

stellvertretende Innenminister der Republik ist, um unseren Fall zu untersuchen.“<br />

Überraschung, Staunen, Freude. Die ganze Erdhütte vibrierte. Alle Kranken, alle<br />

Lethargiker und Agoniker kamen bei dieser mit therapeutischen Kräften<br />

ausgestatteten Nachricht auf wunderbare Weise wieder zu Kräften, und gleich<br />

den Schwachen und Paralytikern in den evangelischen Gleichnissen stiegen sie<br />

aus ihren Betten und gesellten sich hinke, hinke dem Kommentatorenchor um<br />

Vonica hinzu.<br />

„Und wisst ihr, was der Graf noch gesagt hat?“, fuhr dieser fort. „Haltet<br />

euch fest! Haltet durch, denn sie werden nachgeben. Erfolg! Das sagte er, und<br />

das müssen auch wir tun, durchhalten!“<br />

„Also denn, auch in diesem Teufelsloch sind wir nicht der Willkür<br />

Ziganows und Kocharkins ausgeliefert. Ihrer Obrigkeit passt es nicht, wenn wir<br />

im Hungerstreik auf dem Territorium ihrer unbedeutenden Republik sterben. Wir<br />

sind wie eine Katzenleiche, die aus dem Hof einer anderen Republik in den ihren<br />

geworfen wurde. Sie werden uns nicht sterben lassen. Sie tragen ja auch<br />

Verantwortung. Was zählt, ist jetzt bloß, dass wir standhaft bleiben.“ Dies<br />

ungefähr waren die Kommentare zur unglaublichen Nachricht. In der<br />

entstandenen Euphorie zerstreute sich wie durch ein Wunder alle Apathie, alle<br />

Lethargie, die uns im Marasmus der letzten beiden denkwürdigen Monate<br />

unseren Willen gelähmt hatte, und an ihre Stelle trat eine frenetische<br />

Kampfeslust, die unsere kraftlosen Glieder gleich Bögen spannte. Wir verspürten<br />

keinen Hunger mehr, weder Kälte, noch Schwäche.<br />

„Bleibt standhaft, Brüder! Auf in den Kampf, denn sie haben keine<br />

Pat<strong>ro</strong>nen!“, donnerte Mitic\ B\lan (der mit dem konfiszierten<br />

Französischlehrbuch), als wollte er sich in einer Bajonettattacke auf „sie“ stürzen.<br />

„Auf sie! Verdammte Hurensöhne, schaut nur, in was für einen Zustand sie uns<br />

gebracht haben, es ekelt einen ja, noch am Leben zu sein. Na, der Chef aus der<br />

Zentralverwaltung, der wird’s ihnen schon zeigen, wenn er sieht, in welch einer<br />

G<strong>ro</strong>tte uns diese Humanisten vom Teufelsloch gehalten haben. Gebt nicht nach,<br />

Brüder, keinen Deut! Lieber sterben wir, als uns wieder mit dem Stock wie die<br />

Rinder zur Arbeit treiben zu lassen.“<br />

„Lieber sterben wir, lieber sterben wir!“, hörte man aus allen Ecken der<br />

Baracke die Rufe derer, die vom oratorischen und wahlkampfartigen Donner des<br />

Volkstribuns Mitic\ B\lan mobilisiert worden waren. Schließlich legte sich dessen<br />

Verve und auch jene seiner Zuhörer, und nach dieser demokratischen Übung,<br />

die unser Blut in Wallung gebracht hatte, gingen wir in Wartehaltung über. Aber<br />

die erwarteten Ereignisse ließen auf sich warten. Die Zeit verging, und nichts<br />

geschah. Man brachte uns auch das Mittagessen, das selbstverständlich keiner<br />

anrührte. Wir sahen zu der verriegelten Tür und… nichts. Keine Bewegung.<br />

„Was, wenn’s nur ein Bluff war? Und dieser Stellvertreter des<br />

Innenministers nichts als ein Gogolscher Revisor ist?“<br />

„Unmöglich! Das wäre ja wirklich schrecklich. Wahrscheinlich haben sie<br />

ihre Strategie uns gegenüber noch nicht festgelegt und brüten noch etwas aus.“

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