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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 341<br />

erfüllt werden. Das hier ist kein Spaß.“ Schweigen breitete sich zwischen uns<br />

aus, welches sich nach und nach mit dem warmen Gefühl der menschlichen<br />

Solidarität auffüllte.<br />

„Und was möchten Sie denn, dass ich über euch sage?“, fragte er<br />

schließlich.<br />

„Was auch immer. Dass wir verrückt sind, Todessüchtige, dass wir über<br />

nichts anderes als über den Tod reden; dass wir eine fanatische Sekte von<br />

Selbstmördern sind, die um jeden Preis im Isolator sterben möchten, einzig und<br />

allein, um die Sowjetunion in den Augen der gesamten Menschheit zu beflecken.<br />

Berichten Sie, was Sie wollen! Je schlimmer, desto besser. Vor allem aber sagen<br />

Sie ihnen, dass mit solchen Verrückten, wie wir welche sind, einfach nicht<br />

diskutiert werden kann. Entweder sie erfüllen unsere Forderungen, oder wir<br />

sterben, und nichts und niemand kann uns davon abhalten. Und wissen Sie, im<br />

Grunde genommen ist alles, was ich Ihnen gesagt habe, von der Wahrheit nicht<br />

weit weg.“ Von Schubert ließ den Kopf sinken, überlegte und überlegte, dann<br />

schaute er mir mit seinem blauen und treuen Blick eines ehrlichen Deutschen in<br />

die Augen und sagte kurz: „Jawohl 151 .“ Darauf ging er zu seinem Bett.<br />

Der vierte Tag (Weihnachtsabend).<br />

Die Hungerschmerzen hatten der Schwäche und den Schwindelgefühlen<br />

Platz gemacht.<br />

Diejenigen von uns, die wir es noch wagten, aus dem Bett zu kriechen,<br />

wankten durch den Raum von Bettpfosten zu Bettpfosten. Wir schritten<br />

abgenabelt in eine hypothetische Welt, in eine Art Traumwelt, auf jeden Fall<br />

fehlte dieser die Gewissheit, sie sei die wirkliche. Und dies belustigte mich sogar.<br />

Es schien mir witzig, dass ich die konkrete Welt als wirklichkeitsfern empfand.<br />

Wo war sie denn dann, die wirkliche Welt? Musste ich denn erst ans äußerste<br />

Existenzlimit gelangen, um zu entdecken, dass sie sich nicht dort befand, wo ich<br />

sie glaubte, im Konkreten?<br />

Um die höheren Offiziere stand es ziemlich schlecht. Die meisten konnten<br />

vor Schwäche und Schwindel nicht mehr von ihren Pritschen steigen. Oberst<br />

Hagiopol hatte Fieber und hustete. Oberst Stelic\ Dumitriu hatte Schüttelf<strong>ro</strong>st.<br />

Die Hypothermie ergänzte die Unterernährung und… das Alter. Beide hatten uns<br />

in ihrem Stoizismus verboten, um ärztliche Assistenz für sie zu bitten. Zwei<br />

andere Oberste, Cojan und Mar]ian, mit einem Puls unter 30, lagen daneben in<br />

halb bewusstlosem Zustand. In den Schweigemomenten vermischten sich in der<br />

Baracke Atemrhythmen mit Gehuste, Geröchel und Gestöhn, kurz, es war die<br />

„Filmmusik“ eines Kriegslazaretts mit Verwundeten in Agonie.<br />

Es kam auch die Morgenzählung, und der Offizier vom Dienst, der Major,<br />

sah sich gezwungen, auch an den Betten derer vorbeizugehen, die nicht mehr<br />

heruntersteigen konnten, um ihre Anwesenheit festzustellen.<br />

Diese Gelegenheit nutzte der Adjutant des ungarischen Starsches, der<br />

sympathische Graf, um sich Vonica zu nähern und ihm etwas in ungarischer<br />

Sprache zuzuflüstern. (Sie hatten auch bis dahin schon ein paar Mal kurze<br />

Wortwechsel gehabt, da Vonica recht gut das Ungarische beherrschte.)<br />

Nachdem der Major mit seiner ganzen Suite die Hütte verließ, von Schubert<br />

151 Deutsch im Original.

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