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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 400<br />

und aus einem unterirdischen Gang bestand, von dem man in Zellen kam, die in<br />

die Erde gegraben worden waren. Alles mit Balken und Erde bedeckt, wie in<br />

einer Erdhütte, in der im Sommer das Eis aufbewahrt wird. Wir hatten so lange<br />

neben dieser sowjetischen Höhlenbizarrerie gelebt, ohne sie beachtet zu haben.<br />

Die Enge war erdrückend. Man musste den Kopf beugen, so niedrig war die<br />

Decke. Ich kam mit Vasile Stoenescu in eine solche Gruft. Zum Glück dauerte<br />

die Qual nicht lange, nur etwa fünf-sechs Stunden, bis das Auto die anderen zum<br />

Bahnhof gebracht hatte, um dann, wie wir später alles rekonstruierten,<br />

zurückzukehren und auch uns zu übernehmen. Wir wurden aus den Grüften<br />

rausgeholt und in Kolonne aufgestellt. Dabei stellten wir fest, dass auch die<br />

restlichen etwa 45-50 unserer Kameraden, die nicht gestreikt hatten, aus der<br />

Baracke evakuiert worden waren, die nun bloß noch unsere elenden<br />

Habseligkeiten beherbergte – man hatte uns doch aufgefordert, nur das „strikt<br />

Notwendige“ mitzunehmen.<br />

Wir wurden ohne Durchsuchung zum Tor hinausgeführt, in einen LKW<br />

verfrachtet und auf ging’s, mit der Bewachungsgarde neben uns auf der<br />

Ladefläche, auf einem Waldweg durch den geheimnisvollen Taigaabend. T<strong>ro</strong>tz<br />

aller Besorgnis um mein eigenes Schicksal konnte ich mich nicht des fast<br />

religiösen Schauers erwehren, der mich angesichts der G<strong>ro</strong>ßartigkeit dieser<br />

scheinbar aus der Ewigkeit heraus geb<strong>ro</strong>chenen Welt erfasste. Immer schon<br />

betrat ich einen Wald, als wäre es eine Kirche. Dieser sakrale Respekt dem Wald<br />

gegenüber half mir auch diesmal, mich zu sammeln und zu beten – für nichts<br />

anderes als für Ruhe und Gefasstheit. Und als ich dann gefasst in mir selbst<br />

ruhte und überlegte, was ich im nächsten Moment zu tun hätte, erinnerte ich<br />

mich an Gabis Madonna: Sie musste ich verstecken. Man hatte uns vor dem<br />

Abtransport nicht durchsucht, würde uns aber dort, wo man uns hin brachte,<br />

ganz bestimmt strengstens durchsuchen.<br />

Dies war nun aber eine recht schwierige Aufgabe, denn in der<br />

Konservendosenenge konnte ich mich kaum bewegen. T<strong>ro</strong>tzdem gelang es mir<br />

schließlich, die Madonna aus der Tasche zu holen und sie hinter der<br />

Pelzfütterung meines Mantels zu verstecken. Dort fand ich sogar noch einen<br />

Bleistiftstumpf, den ich seinerzeit vor den Durchsuchungen im Skit, also 1943,<br />

dort verborgen hatte.

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