04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 170<br />

„Atanasiu, du hast nicht gut getan, unseren Vorschlag auszuschlagen”,<br />

begann er direkt das Gespräch mit sanftem Tadel in der Stimme. „Ich kenne und<br />

verstehe deine Skrupel. Auch ich habe so etwas durchgemacht, sonst würde ich<br />

gar nicht erst mit dir reden. Als die Revolution kam, im Jahre 1917, war ich<br />

Kadett im Reichsgarderegiment von Moskau. Ich gehörte einer Adelsfamilie an,<br />

welche generationenlang unserem Land bedeutende Menschen gegeben hatte.<br />

Ich war Teil einer bestimmten Welt, mit einer bestimmten Lebensauffassung.<br />

Glaubst du denn, dass es mir leicht gefallen ist, aus einer Welt in eine andere<br />

überzuwechseln? Wie viele Nächte des Ringens erlebte ich damals nicht, bis ich<br />

die Entscheidung traf, die ich get<strong>ro</strong>ffen habe und den Schritt tat, den ich getan<br />

habe? Und schau, in dieser Stellung als höherer Offizier der Roten Armee konnte<br />

ich meinem Land dienen, genauso wie meine Vorgänger unter dem Zaren.<br />

Atanasiu, ihr habt die Partie verloren. Vergiss dies ja nicht! Ihr habt auf die<br />

deutsche Karte gesetzt, und die Deutschen haben den Krieg verloren. Ich<br />

glaube, dies anerkennst auch du. Wenn ihr in dieser Situation hofft, der Westen<br />

werde euch unter seine Fittiche nehmen, täuscht ihr euch bitterlich. Die Karten<br />

sind geschnitten worden, das Spiel ist zu Ende. Der Westen hat euch beim<br />

Kartenspiel verloren. Jetzt befindet ihr euch unter unseren Fittichen. Ob es euch<br />

nun gefällt oder nicht gefällt, so stehen nun mal die Dinge. Sei doch realistisch,<br />

so wie auch ich es war, als ich vor eine Gewissensfrage gestellt wurde. Gib Acht,<br />

was du jetzt entscheidest, in dieser Stunde. Wenn du dein Land wirklich liebst,<br />

kannst du nur an unserer Seite etwas für es tun. Ohne uns oder – schlimmer<br />

noch – gegen uns werdet ihr nichts erreichen können. Und führen werden euch<br />

die Schwachköpfe, die Opportunisten, die Müßiggänger, die P<strong>ro</strong>fiteure, wenn ihr,<br />

die ihr euer Land liebt und ein gewichtiges Wort zu sagen habt, beiseite tretet<br />

und den Weg freimacht für jene, die weder über die nötige Tüchtigkeit verfügen,<br />

noch ihr Land wirklich lieben.” Es folgte eine Schweigepause, wonach er mich<br />

fragte: „Also denn, was meinst du, kommst du an unsere Seite?”<br />

„Nein, Herr Oberst, das kann ich nicht machen. Mein Fall ist komplizierter.<br />

Sie hatten damals eine Lebensauffassung und haben eine andere gewählt. Ich<br />

habe etwas viel Ernsteres. Ich habe einen Glauben, der die Seele meiner Seele<br />

ist. Wie könnte ich diesen mit Füßen treten?” Es folgte wieder Schweigen. „Gut,<br />

Atanasiu, wenn dem so ist, dränge ich nicht mehr. Gute Nacht.” Ich erhob mich.<br />

Er reichte mir die Hand, und der Offizier vom Dienst führte mich in den<br />

Schlafsaal.<br />

Als ich die Mönchsklause erreichte, k<strong>ro</strong>ch ich ins Bett und schlief wie ein<br />

Stein. Am Morgen erzählte ich den mir Nahestehenden mein nächtliches<br />

Abenteuer. Meine destabilisierende Stellungnahme hatte für mich keine Folgen,<br />

wenigsten nicht, solange ich noch in Susdal war. Und dies verdankte ich<br />

Nowikow, der t<strong>ro</strong>tz seiner Verwandlung immerhin der gleiche Aristokrat<br />

geblieben war, mit demselben Ehrgefühl wie zu seiner Kadettenzeit und mit der<br />

gleichen Ritterlichkeit in seinem Benehmen dem besiegten Gegner gegenüber.<br />

Solange ich in Gefangenschaft war, ist mir kein anderer sowjetischer Offizier<br />

begegnet, der seine Qualitäten gehabt hätte. Erst als er Susdal verließ, wurde<br />

auch ich versetzt und es begann mein Leidensweg”, schließt Puiu Atanasiu<br />

seinen Zeugnisbericht.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!