04.09.2013 Aufrufe

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

radu m|rculescu - Memoria.ro

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 331<br />

einmal eine schlechte. Glücklicherweise besaßen wir diesen unschätzbaren<br />

Schatz, mit dem uns die Ungarn ausgestattet hatten, die Bauchsäge und die Axt,<br />

womit wir die Möbel aus der anderen Hälfte der Hütte einer viel wertvolleren<br />

Verwendung zuführten, indem wir sie zu Brennholz machten. Obwohl aber der<br />

Fassofen ständig geheizt wurde, gelang es uns nicht, diesen Raum<br />

aufzuwärmen, der für mindestens 300 Personen gedacht war und in dem wir nur<br />

70 Männer waren, so dass wir beständig unter Kälte litten. Andererseits nistete<br />

sich, wegen der verschwindend kleinen, fast symbolischen Essensrationen, nach<br />

und nach der Hunger in unseren Eingeweiden ein. Um die vernichtende Wirkung<br />

dieser vereinten Plagen etwas abzuschwächen, legten wir uns auf die Balken der<br />

oberen Betten– auf den Parterrebetten zu liegen kam wegen der Kälte gar nicht<br />

erst in Frage – und krümmten uns unter Decken und Mänteln zusammen, woher<br />

wir nur, wenn es Not tat, wieder hervor k<strong>ro</strong>chen. Die Zeit (ver)ging durch uns<br />

hindurch wie ein schwarzes Wasser. Wir warteten. Worauf warteten wir? Seit der<br />

Waffenstillstand-Kapitulation namens 23. August waren mehr als zwei Jahre<br />

verstrichen und eineinhalb seit Kriegsende, und wir steckten in dieser<br />

platonischen Höhle, in die man uns geworfen hatte, fest, an deren Wände die<br />

verspielten Flammen der Fidibusse die phantastischen Schatten unserer<br />

ruinierten Träume warfen. Heime, Ehen, ganze Familien, materielle Grundlagen,<br />

alles war für uns im Wirbel der Zeit zusammengeb<strong>ro</strong>chen, in jener historischen,<br />

feindlichen und zugleich hochstaplerischen Zeit, aus der wir selbst uns<br />

ausgeschlossen hatten, da wir diese nicht als die echte, als die unsere<br />

anerkennen konnten. Aber auch die Zeit rächte sich ob dieser Herausforderung<br />

an uns, indem sie uns das Handeln, die Teilnahme am Leben vorenthielt und uns<br />

zu einer Unbeweglichkeit verdammte, die den Tod zum Nachbarn hatte. Aus ihr<br />

rausgeworfen, wohnten wir aus der Ferne als hilflose Zuschauer den<br />

tektonischen Bewegungen bei, mit denen sie unsere Welt niedermachte, um<br />

anstatt ihrer aus dem Nichts eine andere an die Oberfläche zu drücken, mit<br />

abwegigen und monströsen Formen, eine Welt, die sich unentwegt ausweitete<br />

und uns, die Isolierten, an den Existenzrand abdrängte.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!