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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 431<br />

und warfen uns in einem Zustand der P<strong>ro</strong>stration auf die erstbesten nackten<br />

Pritschenbretter. In sich selbst zusammengesunken befragte ein jeder sein<br />

Schicksal an diesem Wendepunkt der langen Gefangenenreise, fühlte, wie er<br />

langsam, aber unwiederbringlich in den Sumpf der Verzweiflung glitt. Plötzlich<br />

brach Major R\doi, unser Bariton, der Toreador (wie wir ihn seit dem Ereignis mit<br />

dem eine Achtelnote höher eingestimmten Orchester noch nannten), das<br />

Schweigen. Er erhob sich ungestüm von der Pritsche und beschwor uns mit<br />

seiner dramatischen Stimme: „Ach, gebt mir einen Nagel! Einen Nagel, bitte...<br />

Damit ich ihn mir in den Kopf treibe. Mich umbringe. Ich habe wie ein Esel auf<br />

der Bühne gewiehert... an all ihren Feiertagen.... am 7. November und am 21.<br />

Januar und am 1. Mai, und wie stehe ich nun da? Der Zug ist weg und ich bin<br />

dageblieben.” (Hier brach er Schluchzen aus.) „Ooh!... Gebt mir einen Nagel,<br />

damit ich ihn mir in den Kopf hämmere!... Einen Nagel, ich beschwöre euch!”<br />

Und so g<strong>ro</strong>ß er war, stürzte er auf die Pritsche, in der dramatischen Positur des<br />

Stierkämpfers, der in der blutigen Arena unter den Hörnern des mörderischen<br />

Stieres zusammenbricht.<br />

Anfangs waren wir verblüfft, verstanden nicht, was er mit dem Nagel<br />

wollte. Als er aber zum dramatischen Finale des Zusammenbruchs gelangte,<br />

brachen wir in ein Wahnsinnsgelächter aus. Im Grunde genommen war dies<br />

genau das, was wir jetzt brauchten. Nach einer so fürchterlichen Anspannung<br />

kam das entspannende Gelächter wie gerufen. Bei seinem Gestöhn des<br />

aufgespießten Toreadors erreichte unser Gelächter den absoluten Höhepunkt.<br />

Wir lachten und konnten nicht mehr innehalten. Einer nach dem anderen fielen<br />

wir aus den Betten und wälzten uns am Boden vor Lachen, griffen uns an den<br />

Bauch vor Gelächter. Wir lachten Tränen, und unsere Augen schwollen<br />

zwiebelg<strong>ro</strong>ß an. Das Gelächter wurde von Gestöhne begleitet, denn von soviel<br />

Lachen hatten wir echt Bauchschmerzen! Aber wir lachten und lachten und<br />

konnten uns nicht mehr befreien aus diesem neu<strong>ro</strong>tischen Wahnsinnsgelächter.<br />

(Mit Schrecken erinnerte ich mich an eine meiner Tanten, die in hohem Grade<br />

neurasthenisch war und auf dem Krankenlager in Gelächter ausbrach, und nicht<br />

mehr davon abzubringen war, bis sie mit einem letzten Auflachen den Geist<br />

aufgab.)<br />

In diesem Zustand fand uns der Offizier vom Dienst (der mit der Liste am<br />

Tor), als er in Begleitung eines Kaporals und Coteas in die Baracke trat. Was<br />

mag er sich bloß gedacht haben angesichts des sich ihm bietenden Bildes: 40<br />

Menschen wälzten sich am Boden, mit den Händen an ihren Bäuchen, mit <strong>ro</strong>ten<br />

Augen, lachend-stöhnend-röchelnd!<br />

„Sie haben sich vergiftet“, meinte Cotea aufs Erste im schwachen Licht<br />

der Abenddämmerung. „Die haben Gift genommen wie König Dezebal 175 … weil<br />

sie von der Repatriierung zurückgestellt worden sind“, wiederholte er auf<br />

Russisch. Der Offizier erstarrte. Der Kaporal stürzte hinaus, um Hilfe zu holen,<br />

und Cotea näherte sich vorsichtig den Selbstmördern. Als er aber die wahre<br />

Herkunft dieser Symptome herausfand, begann er uns wütend anzuschreien:<br />

175 Decebalus war der letzte König der Dakier. Er herrschte von 87 bis 106, als er nach der Niederlage im<br />

zweiten dakischen Krieg (105-106) gegen Kaiser Trajan Selbstmord beging.

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