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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 504<br />

nächsten Nacht schnappten wir während eines Haltes ein paar B<strong>ro</strong>cken aus<br />

einer slawischen Sprache auf, aber die zwei, drei Kameraden, die Russisch<br />

beherrschten, konnten sich nicht darauf einigen, ob es sich denn nun um<br />

Ruthenisch, um Polnisch oder um Slowakisch handelte. Und keine einziges<br />

rumänisches Wörtchen.<br />

„He, Jungs“, begann Oberst Ciufu, mein Regimentskommandant, der<br />

seinen Platz neben mir hatte, „ich bitte euch aus ganzem Herzen, mich darauf<br />

aufmerksam zu machen, sowie ihr jemanden Rumänisch sprechen hört, ja? Ich<br />

bin neugierig, wie sich die ersten rumänischen Worte aus dem Munde eines<br />

Rumänen anhören.“<br />

„Wenn wir doch nur je wieder so etwas zu hören bekommen, Herr Oberst“,<br />

griff von gegenüber Alecu Tr\istaru ein. „In diesem verkehrten Land, in dem man<br />

ja, um nach Baku oder Odessa zu gelangen, erst mal durch Moskau fahren<br />

muss“ (dies war einem der Anwesenden tatsächlich passiert), „ist es nicht<br />

ausgeschlossen, dass wir, bevor wir das erste rumänische Wort hören, zuvor<br />

noch auf den Bahnhöfen wer weiß was für ausgefallene Idiome wie etwa Lettisch<br />

oder Estisch hören werden.“<br />

Seine letzten Worte lösten Gelächter aus. Dann gab’s aber plötzlich auch<br />

P<strong>ro</strong>teste, denn seine pessimistische Einstellung stellte ja die Idee der<br />

Repatriierung an und für sich in Frage, und diese war inzwischen regelrecht<br />

„tabu“.<br />

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir, als platzte mir das<br />

T<strong>ro</strong>mmelfell, in meinen Ohren pfiff es fürchterlich.<br />

„Wir müssen irgendwo in den Bergen sein“, dachte ich und klebte meine<br />

Nase ans Glas des kleinen Fensters, und, tatsächlich, vor mir erstreckte sich in<br />

Weiß und Grau getaucht eine Berglandschaft in all ihrer winterlichen Reinheit.<br />

Die Bahnhöfe jedoch flogen geschwind an uns vorbei, um dann vom Nebel<br />

geschluckt zu werden, und schienen mit lateinischen Buchstaben geschriebene<br />

Namen zu tragen.<br />

„Wir müssen auf dem Territorium der Slowakei sein. Wahrscheinlich<br />

werden wir über Sighet 187 ins Land gelangen“, war die Schlussfolgerung der<br />

Expertenkommission, die sich ad hoc gebildet hatte, um die Fahrt<strong>ro</strong>ute zu<br />

verfolgen, und ihr gehörte auch ein Mann aus dem Maramurescher Grenzgebiet<br />

an.<br />

In der nächsten und letzten Nacht fielen wir, müde von all der Anspannung<br />

und eingelullt vom monotonen Rattern der Räder (das bloß vom Passieren der<br />

Tunnels nuanciert wurde), allesamt in einen tiefen Schlaf. Zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt spürte ich wie im Traum, dass der Zug angehalten hatte. Aus all<br />

unseren bis dahin von der Fahrt mürbe gerüttelten Gliedern stieg zum Zustand<br />

der Nüchternheit hinauf, die mitten im Schlaf wachte, ein unaussprechliches<br />

Gefühl des Wohlseins und des Friedens.<br />

Als wir im Morgengrauen erwachten, davon ausgehend, dass wir nach<br />

dem langen Halt irgendwo angekommen sein mussten, blickte ich erneut aus<br />

dem Fenster. Das Winterbild war märchenhaft und prägte den Rest meines<br />

187 Sighetul Marma"iei, Stadt im Norden Rumäniens (Kreis Maramure#/Marma<strong>ro</strong>sch).

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