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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 465<br />

130. P<strong>ro</strong>metheus<br />

Kaum hatte ich das Poem fertig, als mich auch schon die Versuchung<br />

umgarnte, auch andere mythische oder mythologische Figuren mit der<br />

furchtbaren Aktualität der Jahrhundertmitte, in der wir lebten, zu konf<strong>ro</strong>ntieren.<br />

Eines der Themen der Weltliteratur, das mich gewissermaßen<br />

herausforderte, war jenes des P<strong>ro</strong>metheus. Dabei war es nicht die Figur dieses<br />

mythologischen Titanen an sich, auch nicht jene der Person aus Aischylos’<br />

Tragödie, mit der ich unzufrieden war, sondern mich störte der Held, der in der<br />

zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts von Goethe (in seiner Sturm-und-Drang-<br />

Periode) und dann im folgenden Jahrhundert von Shelley mit einer Ladung<br />

Atheismus, mit einer Herausforderung der göttlichen Ordnung, mit einem<br />

euphorischen Vertrauen in den Wert des autonomen, vom Himmel losgelösten,<br />

aufbegehrenden Menschen und in den unbegrenzten Fortschritt von<br />

Wissenschaft und Technik ausgestattet worden war.<br />

Hätte ich in jener Goetheschen Zeit gelebt, in der die Hoffnungen auf die<br />

vom Dogma befreite Wissenschaft und aus die Wohltaten des Fortschritts in<br />

voller Blüte standen, ich hätte wohl selber auch uneingeschränkt die<br />

Glorifizierung des Titanen befürwortet, der der Menschheit das „aus dem Himmel<br />

gestohlene Feuer“ gebracht hat und den Anfang für die Technik und der<br />

Zivilisation bedeutete, die sie beglücken sollten.<br />

Aber mir war es gegeben, einer von der Bombe auf Hi<strong>ro</strong>shima geprägten<br />

Zeit anzugehören, das letzte Glied einer Kette, deren erstes Glied gerade das<br />

von P<strong>ro</strong>metheus „gestohlene Feuer“ ist. Mit dieser Bombe betritt die Menschheit<br />

einen Alptraum, jenen der verallgemeinerten atomaren Explosion, des<br />

theoretisch möglichen apokalyptischen Weltendes, ein Alptraum, aus dem nicht<br />

zu ersehen ist, wer sie und wie befreien wird. Somit bezweifle ich, dass<br />

P<strong>ro</strong>metheus, könnte er die Endresultate seiner Tat einschätzen, noch auf sie<br />

stolz sein, oder dass er vor dem Vater im Himmel noch mit der Ar<strong>ro</strong>ganz<br />

auftreten würde, mit der ihn Goethe ausgestattet hat. Eher schon sehe ich ihn<br />

vom Grauen gepackt angesichts der vernichtenden Verwendung seines<br />

„Geschenks“ durch die Menschheit und es bitter bereuend, dass er ihr das Feuer<br />

anvertraut hat. Dies ist mein P<strong>ro</strong>metheus Post-Hi<strong>ro</strong>shima, enttäuscht und<br />

demütig. Da auch dieser Text auf den Tisch des Militärtribunals gelangte, gebe<br />

ich ihn als Dokument in extenso wieder:<br />

P<strong>ro</strong>metheus<br />

An mythischen Felsen gefesselt / Hält mich seit tausenden von Jahren die<br />

Schuld, / Denn ich raubte des Himmels Mysterien, / Um den Menschen das Licht<br />

zu bringen.

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