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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 471<br />

132. Willi Kern / Vasile S=mbure<br />

In Odessa gab es – konnte es denn anders sein? – auch ein NKWD-<br />

Gefängnis. Glücklicherweise hatte niemand aus unserer Oranki-Susdaler<br />

Wandertruppe die Gelegenheit, seine Allgemeinbildung mit den Besonderheiten<br />

des Odessaer Knastlebens zu bereichern. Hingegen wurden<br />

Untersuchungsabfälle, „Schuldige“ ohne Schuldbeweise, geringfügige Fälle, vor<br />

allem dann, wenn die eingeplante Verurteilungsquote mehr als erfüllt war, anstatt<br />

auf den rettungslosen Weg der Militärtribunale geschickt zu werden, in unser<br />

Lager „ausgeschüttet“, in unsere Rumänenkolonie, einfach so, „damit auch das<br />

Schaf noch einen Wolf frisst“, wie ein alter rumänischer Spruch lautet.<br />

Eines dieser Schäfchen, das wie durch ein Wunder aus den Fängen des<br />

Untersuchungswolfes entkam, war der junge SS-Mann Willi Kern bzw. Vasile<br />

S=mbure in rumänischer Übersetzung. Er war in die SS gelangt, weil er ein<br />

Siebenbürger Sachse war und weil der Führer den Befehl erteilt hatte, dass alle<br />

Deutschen von außerhalb des Reiches, die für den Krieg mobilisiert werden<br />

konnten, in die SS-Einheiten einzuweisen waren. Er war jung (ca. 24), klug (er<br />

sprach ein einwandfreies Rumänisch) und ein richtiger Schönling. Seine<br />

Gesichtszüge waren eher rumänisch (braune Augen, kastanienfarbene Haare)<br />

denn germanisch. Die Unerhörtheit seiner Situation begann mit dem Augenblick<br />

(nach dem 23. August), als seine sich überhastet auf den Landstraßen der<br />

Baraganebene zurückziehende Einheit von sowjetischen Panzereinheiten<br />

eingeholt und gefangen genommen wurde. Man übergab die Gefangenen einer<br />

NKWD-Truppe, sie wurden am Straßenrand aufgestellt und ohne viel Aufhebens<br />

auf der Stelle erschossen. Der junge Kern hatte alle Sinne hellwach und merkte<br />

als erster das nahende fatale Moment und warf sich in den Straßengraben. Die<br />

niedergemetzelten Kameraden fielen über ihn. Schweigen, unterb<strong>ro</strong>chen von<br />

vereinzelten Pistolenschüssen… die sich ihm näherten. Es war der Schlussmann<br />

der Kolonne, der mit einer Kugel in den Kopf jeden noch Lebenden liquidierte.<br />

Die Schüsse entfernten sich. Er war nicht bemerkt worden. Totenstille folgte, die<br />

kein Stöhnen mehr unterbrach. Abgesehen von ihm hatte der Liquidator seine<br />

Pflicht wie ein P<strong>ro</strong>fi erledigt. An diesem Punkt tut sich in meinem Gedächtnis eine<br />

ernsthafte Lücke auf: Aus dem, was er mir erzählt hat, erinnere ich mich nicht<br />

mehr daran, wie er sich letztendlich gerettet hatte. Sollte er es geschafft haben,<br />

unter den Leichen hervor zu kriechen, die ihn vor dem Tod geschützt hatten, um<br />

anschließend von guten Menschen gefunden zu werden, die ihn dann – gerührt<br />

von seiner Jugend – von jener Stätte des Grauens, allen Risiken zum T<strong>ro</strong>tz,<br />

mitnahmen? Oder hatte er gewartet, bis es dunkel wurde, um sich dann erst vom<br />

Leichenfeld zu lösen und die ganze Nacht über durch die Maisfelder der riesigen<br />

Baraganebene zu humpeln (er hatte sich den Fuß vertreten), bis er erschöpft vor<br />

eine menschliche Behausung gelangte? Egal nun, welche dieser Varianten die<br />

tatsächliche war, eines ist sicher: Unser Willi hatte Schweinsglück. Nicht nur,<br />

dass er mit dem Leben aus einem Massaker davon kam, sondern auch dadurch,<br />

dass er in gute Hände geriet in einem Haus mit hilfsbereiten Menschen, die ihn

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