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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 511<br />

Wahnsinn! Also es gab dort oben Leute, die kämpften und die Demütigung<br />

einer ganzen Nation rächten und auf ein paar Handbreit Boden die unbegrenzte<br />

Macht der Besatzer Respekt lehrten.<br />

Das Gespräch nahm hier sein Ende, denn gerade ging der Schlussmann<br />

des Konvois, ein Oberfeldwebel, an uns vorbei und befahl den Soldaten<br />

schneidend, die Ordnung wieder herzustellen, wenigstens vor den Augen des<br />

sowjetischen Ehrenzugs, der dem Leichenwagen folgte. Also verließen diese<br />

unsere Kolonne und stellten ihren Kordon wieder her, als der Leichenzug an uns<br />

vorbeikam. Umgeben von <strong>ro</strong>ten Blumenkränzen lag auf dem Sargdeckel die<br />

blaue Schirmmütze des Toten.<br />

Wir salutierten und sagten uns insgeheim: „Vergib ihm, Gott!“, aber<br />

desgleichen in Gedanken fügten wir noch hinzu „und vergib auch uns, wenn<br />

nach so vielen Demütigungen, die «sie» uns zugefügt haben, mit dieser<br />

Gelegenheit ein Hauch von unchristlicher Genugtuung sich in unsere Seele<br />

geschlichen haben mag!“<br />

Allerdings hatte uns, bei näherem Hinsehen, nicht der Tod dieses armen<br />

Politruks gefreut. Als Mensch wird er wohl auch eine Mutter oder eine Ehefrau<br />

und Kinder gehabt haben, die in wer weiß welcher Ecke dieses <strong>ro</strong>ten Kontinents<br />

auf ihn warteten. Uns aber freute die Bedeutung, welche dieser Tod besaß,<br />

genauer: die Botschaft, die der Widerstand aus den Bergen ohne es zu wissen<br />

durch dieses „Zeichen“ uns zukommen ließ, dem Widerstand aus den Lagern,<br />

jenen, die wir aus einer Knechtschaft heimkehrten, um in eine neue zu geraten,<br />

um uns klar und deutlich gleich im Augenblick des Betretens des heimischen<br />

Bodens zu bedeuten: „Kopf hoch! Es ist nicht alles verloren. Wenn wir hier sind,<br />

gibt es auch Hoffnung.“ Nach der Träne des Begleitsoldaten war dieser<br />

Leichenzug das zweite Zeichen, das uns das wahre Vaterland sandte.<br />

Schließlich näherte sich mit unserem Einzug in die Stadt auch das Ende<br />

dieses leidvollen Marsches der Hilflosigkeit. Das sich im Weiß des Schnees<br />

reflektierende Sonnenlicht blendete uns regelrecht, und an jenem unglaublich<br />

warmen Dezembermittag hatten die gepflegten und sauberen Häuser einer<br />

Maramurescher Kleinstadt ihre Fenster weit aufgemacht, und an vielen davon<br />

tauchten ihre Bewohner, Männer, Frauen, Kinder auf, um das Geschenk dieses<br />

sonnigen Wintertages entgegenzunehmen. Als aber ihre Blicke auf das<br />

wandelnde Elend unseres Konvois von Verbannten fielen, gingen wie auf Befehl<br />

eins nach dem anderen alle Fenster zu, und bloß noch hinter den Vorhängen her<br />

konnte man hier und da noch eine Silhouette erahnen, die furchtsam, aus<br />

Neugier oder vielleicht aus Mitleid, nach draußen, auf unsere Kolonne blickte.<br />

„Sie fürchten sich wie vor Pestkranken, haben Angst davor, wir könnten<br />

sie anzustecken“, sagte jemand von uns. Und wahrlich, welche Krankheit ist<br />

denn ansteckender und hat bösere Folgen als die Ungnade der Macht?<br />

Kurz darauf gelangten wir in die Mitte des Innenhofes einer Kaserne oder<br />

gar eines Gefängnisses. Unheimlich sah er aus, dieser g<strong>ro</strong>ße, leere, mit<br />

Flusssteinen gepflasterte Hof, um den mehrstöckige Gebäude mit rauen<br />

Fassaden, im entpersönlichten architektonischen Stile der österreichischungarischen<br />

Kasernen und Gefängnisse, umstanden. Die Eskorte verließ uns,<br />

nicht ohne einige diskrete Abschiedsworte von beiden Seiten. Dafür nahm uns<br />

dann eine lokale Wachmannschaft in Empfang, und während der <strong>ro</strong>utinemäßigen

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