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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 404 107. Das Ende des Streiks: eine Niederlage Wir hatten schließlich den sechsten Tag, als ich ahnte, dass etwas geschehen würde. Sowohl die Erinnerung an den Streik in Oranki, als auch jene daran, was andere (Ciutea) erzählt hatten, sprachen dafür, dass am sechsten Tag die künstliche Ernährung beginnt. Tatsächlich begann man auf den Gängen des minoischen Labyrinths, wo gewöhnlich das Schweigen des Ter<strong>ro</strong>rs herrschte, eilige Schritte zu hören, Türen wurden geöffnet und geschlossen, kurz, ein erst ferner und konfuser Lärm näherte sich zusehends unsere Zelle. Dann ging plötzlich die Tür weit auf, auf dem dunklen Korridor war die gedrungene Silhouette des Kommandanten zu erkennen, nebst dem Weiß der Ärzte- oder Sanitäterkittel, und in die Zelle trat einer der Streikenden mit verwildertem Gesicht und Bart, in dem ich beim trüben Licht der Glühbirne letztlich Burckhardt, einen der Periwotschiks, erkannte, selber auch im Hungerstreik. (Der im Sing-Sing-Waggon Clonaru an die Gurgel gesprungen war, weil dieser gesagt hatte, wir führen gen Osten, nicht gen Westen, Richtung Rumänien, wie Burckhardt gerne weiterhin geglaubt hätte.) Irgendwie zögernd sagte er, nachdem er uns anschaute: „Ihr seid die einzigen, die noch streiken. Ihr seid übrigens auch die letzte Zelle vom Korridor, in allen anderen Zellen haben die Jungs den Hungerstreik aufgegeben. Was macht ihr? Was soll ich dem Oberst melden?“ Wir sahen einander verwundert an. Wenn alle aufgehört hatten, zu streiken, was konnten wir dann noch tun? Solidarisch sein mit allen – im Sieg wie in der Niederlage. Kaum hatte B. unsere Antwort dem Oberst gemeldet, als auch schon ein Sanitäter mit einem Tablett mit drei Kännchen zu uns kam, in denen ein Gemisch aus Milch, Eigelb und Zucker war, das man bei der künstlichen Ernährung einem zuführt. Wir tranken alle drei mit Knoten im Hals die Kännchen der Niederlage leer. Als der Sanitäter ging, teilte man uns mit, unser Gepäck vorzubereiten und zu warten. Dann schloss sich die Tür. Der Lärm auf dem Korridor entfernte sich und erlosch dann. Wieder alleine, ohne den bösartigen Sucherblick der Schrägaugen, gingen wir daran, uns zu fragen, warum denn unsere Jungs den Streik aufgegeben hatten. Bei den älteren Offizieren waren wahrscheinlich Komplikationen aufgetreten, die ihr Leben gefährdeten. Wer weiß? Wir würden’s ja bald erfahren, wenn wir wieder alle zusammenkamen. Als ich die Madonna ins Mantelversteck gab, stieß ich wieder auf den Tintenbleistiftstumpf, den ich vor der Durchsuchung von 1943 gerettet hatte. Und weil noch Zeit bis zum Aufbruch war, begann ich, auch unseren Aufenthalt im unterirdischen NKWD-Labyrinth von Morschansk zu dokumentieren, indem ich unsere Namen und das Datum der Einkarzerung neben jene unserer Freunde lateinischer Abstammung setzte. Aber nicht bloß das. Ich begann, Verse von Vasile Voiculescu, dem mir so lieben Dichter, an die Wand zu graphieren, und zwar jene, die in kritischen Situationen auf meinen Geist die kräftigste Wirkung gehabt hatten, in der Hoffnung, dass sie auch auf den stärkend wirken würden,
Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 405 der nach mir hierher gelangte – so es ein Rumäne war und er dazu kam, sie zu lesen: „Er grub in Stein die Sehnsucht wie der tote Wurm Am Tor des Lichts nach langem Weg gefallen. Die Seele aber wachte auf so hohem Turm, Dass der Tod sie nicht mehr greifen konnte.“ (V. Voiculescu, Schicksal. Über dem Bildwäldchen)
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RADU M|RCULESCU LEID UND ERLEUCHTUN
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Inhalt Die rückerstattet Vergangen
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109. Die Nacht der Schakale 409 110
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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtu
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