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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 491<br />

138. Im Lager des ehemaligen Sanatoriums, im Maleratelier<br />

Eines Morgens wurden wir samt Gepäck auf LKWs verladen und<br />

irgendwohin an den Rand des sehr sauberen und malerischen Odessas in ein<br />

ehemaliges Sanatorium transportiert. Zwar waren die Wohnbedingungen hier<br />

besser, aber wir hatten den faszinierende Anblick des Meeres verloren, und<br />

nichts konnte uns über die Abwesenheit dieses unbegrenzten und unentwegt<br />

sich verändernden existentiellen Dekors hinweg trösten, wenigstens mich nicht,<br />

war er ja auch eine Art g<strong>ro</strong>ßzügiger Verstärker unserer eigenen seelischen<br />

Zustände.<br />

Dass Gebäude bestand aus Parterre und Obergeschoß. Über diesem<br />

befand sich vorne ein kleiner Erker mit einer kleinen Veranda, woher man im<br />

Süden den Horizont als eine dünne blaue Linie sehen konnte, welche das Meer<br />

hätte sein können. Ich musste mich eben damit zufrieden geben, mit dem<br />

Wissen, dass es dort war.<br />

Aus dieser Veranda, die übrigens in keiner Weise genützt wurde, hatten<br />

einige von uns überlegt, ein Maleratelier zu machen. Nach einigem Hin- und<br />

Hersuchen fanden wir uns vier Mann zusammen, die wir auf die eine oder<br />

andere Weise Malneigungen gehabt hatten, denen wir einst zum Teil auch<br />

nachgegangen waren, aber die seit langem verschüttet dagelegen hatten. Der<br />

erste Malfreund war Hauptmann Sudacevski, er war auch mit der Idee<br />

gekommen. Er hatte sich bereits in einem vorherigen Lager mit Malen<br />

beschäftigt. Er hatte Aufträge bekommen und gerade soviel verdient, um sich<br />

einen echten Malkasten zu beschaffen, mit Tuben, Pinseln, Malpaletten,<br />

Malerleinwand usw., genau das Richtige, um die Aktion zu starten. Der zweite<br />

Mann war Gri[a Coban, ein Rechtsanwalt, der als Student, um sich ein Zub<strong>ro</strong>t zu<br />

verdienen, im Atelier Meister B\ncil\s 186 , ein berühmter Maler zu jener Zeit,<br />

gearbeitet hatte. Aus diesen Lehrlingsjahren hatte sich Gri[a einiges an Technik<br />

angeeignet (das Vorbereiten der Leinwand, die Komposition, das Kombinieren<br />

der Farben, die Vernissage usw.). Was für uns Dilettanten von g<strong>ro</strong>ßem Nutzen<br />

war. Vor allem aber gefiel es uns, Gri[a zuzuhören, wenn er uns einiges aus dem<br />

Atelierleben erzählte. So etwa wie der Meister seinen Schülern auftrug, eines<br />

seiner berühmteren Gemälde zu kopieren (die unter den damaligen Snobs sehr<br />

begehrt waren, man riss sich um alles, was die Signatur B\ncil\s trug). Wenn sie<br />

fertig waren, legte er sie nebeneinander auf den Tisch, retouchierte jedes<br />

Gemälde mit ein-zwei Pinselstrichen und signierte sie ohne Gewissensbisse,<br />

wonach sie mit der Zeit für gutes Geld an die Wände der Salons derer aus der<br />

„guten Gesellschaft” gelangten, die sich einen „echten” B\ncil\ wünschten.<br />

Der dritte im Malerbunde war Oleg Domb<strong>ro</strong>vschi, ein Artillerieleutnant, der<br />

als Jugendlicher in seiner Freizeit auch als bildender Künstler gesündigt hatte.<br />

Der vierte und letzte schließlich war ich. Immer schon verspürte ich eine kräftige<br />

186 Octav B!ncil! (1872-1944) war ein realistischer Maler (Arbeiterpoträts, Gemälde des Bauernaufstands<br />

aus dem Jahre 1907) und linker Aktivist.

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