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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 229<br />

„Wie können wir euch denn repatriieren“, begann er rhetorisch, „wenn ihr<br />

uns flagrante Beweise liefert, dass ihr eure faschistische Mentalität nicht im<br />

geringsten geändert habt und die gleichen eingefleischten Faschisten geblieben<br />

seid, die ihr euer Leben lang wart. Der Beweis? Ihr wollt einen Beweis? Bitte<br />

schön, eure Operette, die ihr applaudiert habt, bis eure Hände <strong>ro</strong>t wurden, und<br />

die im Wesentlichen ein reaktionäres und bis ins innerste Mark ein faschistisches<br />

Werk ist. Worauf gründen sich meine Behauptungen? Warum wurde für Grettis<br />

Kleid die Farbe Grün gewählt? Was denn, glaubt ihr, wir hätten nicht von den<br />

«Grünhemden! der Eisernen Garde gehört? Oder wir wüssten nicht, dass Grün<br />

ihre politische Farbe ist? Zweitens: Warum wohl wollen die beiden Verliebten<br />

nach Spanien flüchten? Welcher ehrliche Demokrat würde in ein Land flüchten,<br />

in dem ein so böser Faschist regiert wie Franco? Glaubt ihr denn nicht, dass die<br />

Wahl Franco-Spaniens als Fluchtort die beiden (sowie auch den Autor des<br />

Stückes) als Faschisten und als Feinde der Demokratie entlarvt? Wenn sie<br />

ehrliche Menschen sind, warum sind sie dann nicht in die UdSSR geflüchtet, die<br />

ja seit jeher allen politisch Verfolgten g<strong>ro</strong>ßzügig Asyl geboten hat? Und wo sie<br />

sich durch korrektes, genossenschaftliches Benehmen und durch ehrliche Arbeit<br />

ein glückliches Heim hätten schaffen können? Drittens: Drei Abenteurer betrügen<br />

eine ganze Stadt und flüchten ungestört mit dem gestohlenen Geld. Niemand<br />

erwischt sie und bringt sie vor das Volksgericht. Was ist das denn für eine Moral?<br />

Die ist auf keinen Fall eine p<strong>ro</strong>letarische Moral. Wolltet ihr, indem ihr diese drei<br />

Abenteurer, die soviel Übel angerichtet haben, ungestraft davonkommen lasst,<br />

nicht etwa Mareschall Antonescu freisprechen und ihn auch ungestraft lassen für<br />

all die Verbrechen, welche er begangen hat? Es würde mich nicht wundern,<br />

wenn ihr so denkt, nach der g<strong>ro</strong>ßen Begeisterung zu schließen, welche von<br />

dieser zutiefst faschistischen und reaktionären «Operette» in euren Reihen<br />

ausgelöst worden ist. Aber mit einer solchen Mentalität dürft ihr nicht erwarten,<br />

alsbald repatriiert zu werden“, schloss dieser Bezirks-Jdanow 111 seinen Diskurs.<br />

Bed<strong>ro</strong>hliche Wolken füllten die Atmosphäre. Zum Glück ergriff schließlich<br />

Lambrino im Namen des Freiwilligenkomitees, dessen Ideologe vom Dienst er<br />

war, das Wort und schlug, Selbstkritik übend, vor, den Basar der Illusionen aus<br />

dem Repertoire zu nehmen und die künstlerischen Aktivitäten des Lagers nach<br />

gesünderen ideologischen Kriterien zu gestalten. Sein Vorschlag wurde mit<br />

Beifall angenommen.<br />

Als der Erzähler mit seiner Geschichte am Ende war, waren wir fürs erste<br />

sprachlos, dann brachen wir – t<strong>ro</strong>tz des Ernst der Lage, mindestens für mich,<br />

den Autor, der ich in der Anklagerede genannt worden war – einer nach dem<br />

anderen in Lachen aus. Was konnten wir auch anderes tun angesichts der<br />

Absurdität der Situation und der Abwegigkeit der Argumente?<br />

„Kommt, wir ändern das Stück!“, meldete sich Meister Mi[u Dobrescu zu<br />

Wort, der vor Lachen kaum an sich halten konnte. „Stecken wir doch die Gretti in<br />

ein <strong>ro</strong>tes Kleid, und ich flüchte nicht mehr nach Spanien, sondern beantrage<br />

111 Anspielung auf Andrej Aleksand<strong>ro</strong>witsch Jdanow (14.02.1896/26.02.1896 – 31.08.1948), sowjetischer<br />

Politiker und Stalinanhänger. Bekannt als ein Verfechter des „sozialistischen Realismus“ und Begründer<br />

des Kunstjdanowismus (Bekämpfung aller bürgerlichen und reaktionären Werte). Dazu legte er 1947 den<br />

Grundstein für die Sowjetpolitik des Kalten Krieges (die Jdanowdoktrin verfolgte die Teilung der Welt in<br />

zwei Lager, ein imperialistisches und ein demokratisches.

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