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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 74<br />

14. ZWISCHEN HASS UND BARMHERZIGKEIT<br />

Eines anderen Tages machten wir auf dem Marktplatz einer Kleinstadt, die<br />

sich an der Kreuzung zweier Landstraßen befand, Halt, um eine endlose und<br />

schwerfällige Kolonne von LKWs vorbeifahren zu lassen.<br />

Auf dem Markt, den kleine, pittoresk-bunte Holzhäuser umgaben, regte<br />

sich bei reichem Schneefall vor ein paar mehr leer als vollen Verkaufsständen<br />

eine armselige Menge, größtenteils Frauen, und zwar hauptsächlich alte Frauen.<br />

Aus ihren Einkaufstaschen aber stieg ein anregender Duft von frischem B<strong>ro</strong>t<br />

hoch.<br />

„Sicherlich haben sie gerade ihre Wochenration bekommen“, überlegte<br />

Cre]u, den jener Hauch euphorisch gemacht hatte und all seine gastrischen<br />

Sekretionen revolutionierte.<br />

Ich weiß nicht, woher auf dem Markt eine Gruppe deutscher Gefangener<br />

auftauchte, Schatten- und Traumgebilde, so abgemagert sahen sie aus. Es<br />

eskortierten sie zwei Tschassowojs, die von einem Obersergeanten angeführt<br />

wurden. Dieser, mit rundlichem und <strong>ro</strong>twangigem Gesicht, ließ mitten auf dem<br />

Marktplatz anhalten und begann intensiv die paar leeren Schaufenster mit seinen<br />

Augen abzusuchen, wohl auf der Suche nach einer Flasche Wodka.<br />

Währenddessen versammelte sich eine Handvoll Buben rings um die deutschen<br />

Schatten wie um den Käfig mit Bestien, und die Jungs begannen, diese<br />

anzustacheln, indem sie ihnen zuriefen: „Fritz, Fritz, Fritz“… Der Sergeant, etwas<br />

angetrunken und mit lockerem Mundwerk (miles gloriosus, Soldat Prahlhans),<br />

begann allen, die ihm zuhörten, Kindern und Alten zu erzählen, welch<br />

Heldentaten er denn im Krieg vollbracht hatte (die Buben hörten ihm verzaubert<br />

zu) und was für blöde Soldaten die Fritzen, vor denen die Welt soviel Angst<br />

hatte, denn waren.<br />

„Ich habe Hunderte von solchen umgelegt.“ Und um eine dies an Ort und<br />

Stelle zu beweisen, näherte er sich einem der Schatten, der sich vor Hunger<br />

kaum noch auf den Beinen halten konnte und vor Kälte wie ein räudiger Hund<br />

zitterte, und haute ihm voller Heldenmut eine Faust in den Nacken, dass dieser<br />

in den Schnee stürzte.<br />

„Habt ihr gesehen?“, fragte er in p<strong>ro</strong>fessoralem Ton die Zuschauer. „Na<br />

bitte, vor wem wir denn Angst hatten!“ Und um jeden Zweifel an der militärischen<br />

Wertigkeit des deutschen Soldaten zu zerstreuen, verpasste er einem zweiten<br />

Schatten einen Faustschlag in die Brust, dass auch dieser umkippte.<br />

„Na, habt ihr gesehen?“ Die Demonstration weckte Begeisterung in den<br />

Reihen der Zuschauer, die mit patriotischer Leidenschaft Beifall klatschten.<br />

„Darf ich auch mal versuchen?“, fragte ein 13-14jähriger Junge mit blauen<br />

Augen und apfel<strong>ro</strong>ten Wangen.<br />

„Selbstverständlich“, erwiderte der Sergeant. Der Bursch machte ein paar<br />

Schritte rückwärts, um Anlauf zu nehmen, dann stürmte er los und schlug mit<br />

aller Kraft des Kindes dem Fritz die Faust in die Brust. Dieser konnte sich ein<br />

Lächeln nicht verkneifen und ließ sich, nachdem er sich taumelnd stellte, in den

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