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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 125<br />

dessen sie ansichtig wurden, ließen alles stehen und flüchteten, so wie sie<br />

gerade waren, manche im Hemd, mitten in der Nacht in die Steppe. Hinter ihnen<br />

haben die Invasoren alles irgendwie Essbare verschlungen. Hühner, Enten,<br />

Gänse wurden mit Haut und Federn verzehrt. Ein armes Schwein wurde, Stück<br />

für Stück mit einem Beil zerteilt, quasi lebendigen Leibes verzehrt.<br />

Selbstverständlich begleiteten dieses wilde Festmahl Schlägereien und<br />

verbitterte Kämpfe um das größte Stück, das „Faustrecht“ regierte. Ich konnte<br />

einen Sauerkrautkopf ergattern, mit dem ich meinen Hunger noch irgendwie<br />

überlistete. Nachdem nichts mehr zu essen übrig war, begaben sich die<br />

Menschen – ein jeder, wohin er konnte – zur Nachtruhe: Die einen k<strong>ro</strong>chen in die<br />

warmen Betten der Geflüchteten oder auf die Heuböden, andere ließen sich auf<br />

dem Fußboden nieder. Die Nacht ging dem Ende zu, aber ich konnte nicht<br />

einschlafen. Ich war mit dem Gedanken an die möglichen Repressalien<br />

beschäftigt, die auf diese regelrechte Verwüstung hätten folgen können. Dann<br />

dachte ich an den eingänglichen Schock der Tschassowojs, von denen einige<br />

durch die blinde Masse der Hungernden schlichtweg niedergetrampelt worden<br />

waren, und vielleicht waren welche gar tot liegen geblieben, was tragische<br />

Folgen haben konnte. Da neben mir ein T.R.-Sergeant aus Bukarest schlief, den<br />

ich aus anderen Tagen kannte, weckte ich diesen und teilte ihm meine<br />

Befürchtungen mit. Er gab mir Recht. Wir standen beide auf, verließen eiligst den<br />

unheimlichen Ort und machten uns auf den Weg zurück zur Anhöhe, von wo die<br />

Hungerlawine losgeb<strong>ro</strong>chen war. Es war auch höchste Zeit dazu gewesen. Der<br />

Morgen graute, und die Wachsoldaten, die ersch<strong>ro</strong>cken geflüchtet waren,<br />

kehrten nun mit Verstärkung und Bösem im Schilde zurück. Als sie uns mitten<br />

auf der Landstraße erblickten, gerade so, als hätten wir seit Ewigkeiten da<br />

gestanden, sagten sie nichts anderes zu uns, als uns zu setzen. Dann luden sie<br />

ihre Waffen und stiegen ins Tal hinab.<br />

Was daraufhin folgte, war ein Massaker, an das ich mich nur voller Ekel<br />

erinnern kann. All jene, die wie auch wir das verwüstete Dorf verließen und zur<br />

Landstraße heraufkamen, wurden heil vorbeigelassen. Als die Wachsoldaten in<br />

den Weiler eindrangen, begannen sie wild auf alle Gefangenen loszuschießen,<br />

wo sie diese nun gerade vorfanden – in den Häusern, in den Stuben, in den<br />

Betten, Scheunen oder Speichern, durch Türen und Fenster hindurch. Auf die<br />

von uns im Hungerswahnsinn verursachte Verwüstung folgte nun eine bewusste<br />

Zerstörung. Die armen Dörfler, die müssen wohl Augen gemacht haben, als sie<br />

nach einer Zitternacht draußen in der Steppe zu ihren Häusern zurückkehrten<br />

und des Desasters ansichtig wurden: die Höfe voller Leichen, aufgeb<strong>ro</strong>chene<br />

Türen und eingeschlagene Fenster, überall Blut, sogar in ihren Betten… das<br />

Federvieh, die Ziegen, die Schweine… ihre Überlebensmittel… alles war den<br />

Bach runter gegangen. Sollten sie wohl die Weisheit gehabt haben, zu<br />

verstehen, dass die eigentlichen Täter nicht wir waren, die wir durch<br />

Aushungerung an den Rand des Wahnsinns getrieben worden waren, und nicht<br />

einmal die schlitzäugigen Kerle, die auch in den Weilerhäusern mit der<br />

Grausamkeit und Hirnlosigkeit auf uns geschossen hatten, in der sie ausgebildet<br />

und indoktriniert worden waren, sondern jene aus den okkulten Kabinetten der<br />

Macht, in denen selbst auch die «Aushungerung» wissenschaftlich betrachtet<br />

und mit Methode betrieben wurde?

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