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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 296<br />

Was mit ihnen passiert war, erfuhren wir später aus ihrem Munde. In<br />

erster Linie hatte die g<strong>ro</strong>ße Zahl von Streikenden verglichen mit dem<br />

Fassungsvermögen des Karzers eine erstickende Atmosphäre geschaffen.<br />

Jenseits der Erschöpfung wegen des Hungers mussten sie dazu auch noch mit<br />

der Luftnot kämpfen, mit dem Gefühl des Erstickens, mit der bestialisch<br />

durchgeführten künstlichen Ernährung, mit der Mundöffnungszange und mit dem<br />

Schlauch, den man ihnen in den Hals steckte. T<strong>ro</strong>tzdem aber hielten sie durch,<br />

bis man ihnen versprach, sie aus dem Karzer zu entlassen, was dann auch<br />

geschah. Als sie dann auf den Bahren ins Spital gebracht wurden, kam es dort<br />

zu einem anderen Spektakel. Als die Schwestern sahen, in was für einem<br />

Zustand sie waren, brachen sie vor Mitleid in Tränen aus.<br />

Diese Ereignisse fanden am Vormittag statt. Am Nachmittag sollten wir<br />

Zeugen eines weiteren Spektakels werden. Vor den Fenstern unseres<br />

Gebäudes, die nach hinten gingen, befand sich ein Gärtchen mit einem langen<br />

Tisch, mehreren Bänken und ein paar Blumenbeeten. Zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt war es, als versammelten sich da eine Menge Menschen, und als<br />

einige von uns zwischen den Brettern hindurch hinausblickten, stellten sie fest,<br />

dass da ein Meeting organisiert wurde. Aber was für ein Meeting? Und warum<br />

denn gerade da, an diesem verdeckten Ort? Womit sollten wir Unwürdigen es<br />

denn verdient haben, dass man uns vor den Gitterfenstern eine Serenade<br />

veranstaltete? Wahrscheinlich wollte uns die politische Leitung des Lagers<br />

zeigen, dass sie uns t<strong>ro</strong>tz unserer Widerspenstigkeit das tröstende Licht der<br />

marxistisch-lenistisch-stalinistischen Lehre nicht vorenthalten wollte, und da wir<br />

nun der Umstände halber nicht in den Klub gehen konnten, dann kam halt der<br />

Klub zu uns. Rührende Aufmerksamkeit!<br />

Nachdem sich an den kurzerhand mit einem <strong>ro</strong>ten Tuch bedeckten Tisch<br />

das ehrenhafte Präsidium setzte, wurde die Sitzung von Terle]chi<br />

höchstpersönlich vor einem Publikum von maximal 30 Teilnehmern, allesamt<br />

Freiwillige, also vor so genannte Antifaschisten eröffnet. Wo nur hatten sie denn<br />

auch diese gefunden, war doch Oranki zu jenem Zeitpunkt nichts als ein<br />

Verwahrungsort für die Aufsässigen und Widerständler aus M=n\st=rka?<br />

Die Antlitze der Versammelten gaben uns die Antwort: Desgleichen aus<br />

M=n\st=rka hatte man eine Gruppe zusammengestellt, deren Aufgabe es war,<br />

Druck zu machen und die Demokratie zu verteidigen, die ja von der<br />

„unverantwortlichen und verbrecherischen Aktion der dekadenten Elementen“<br />

bed<strong>ro</strong>ht wurde, also von uns, die wir „die Komp<strong>ro</strong>mittierung unserer Beziehungen<br />

mit unserem g<strong>ro</strong>ßen Nachbarn und Bruder verfolgen sowie die Gefährdung der<br />

Errungenschaften unserer jungen Demokratie“, wie es dann in den Reden<br />

Terle]chis und seiner Helfershelfer zu hören war. Es war also ein Meeting, das<br />

organisiert worden war, um uns zu brandmarken. Auf die rhetorische Frage des<br />

Kommissars hin – „Was verdienen denn diese Volksfeinde?“ – waren Stimmen<br />

zu hören, die ausriefen: „Den Tod!“ Das Delirium erreichte seinen Höhepunkt mit<br />

der Schlussrede des Kommissars. Ich zitiere: „T<strong>ro</strong>tzdem, diese böse Aktion“<br />

(also unser Streik) hat auch eine gute Seite. Sie hat jetzt klar gezeigt, welche von<br />

den rumänischen Gefangenen Feinde der Sowjetunion sind. Hatten wir bislang<br />

Zweifel in der Zusammenstellung der Repatriierungslisten, jetzt haben wir keine<br />

mehr. Die Feinde haben sich selbst entlarvt, und die ehrlichen Menschen werden

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