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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 93<br />

hellsten Bewusstseins imstande, die Welt in Brand zu setzen, um sie glücklich zu<br />

machen. Sie sagte uns dann noch, dass wir von hier alsbald in ein Offizierslager<br />

aufbrechen würden, wo es uns sehr gut gehen werde und auch das Buch der<br />

Bücher zu haben sei, das alle existentiellen P<strong>ro</strong>bleme für uns lösen werde.<br />

Nach Stunden des Wartens im F<strong>ro</strong>st öffneten sich schließlich die Tore und<br />

unsere Kolonne betrat das Lager. Nach dem Ritual einer Durchsuchung<br />

übernahm uns ein Tschassowoj und brachte uns zu der größten der Erdhütten.<br />

„Der Esssaal“, dachten wir, die wir den ganzen Tag über nichts gegessen hatten<br />

und vom Marsch durch das Schneegestöber erschöpft waren.<br />

Nein, es war kein Esssaal, denn der Mensch lebt nicht von B<strong>ro</strong>t allein,<br />

sondern auch vom Wort der P<strong>ro</strong>paganda. Es war der „Veranstaltungssaal“, denn<br />

Veranstaltungen fehlten uns mit unseren vor Hunger knurrenden Därmen. Die<br />

Veranstaltung bestand im Abspielen eines Kriegsjournals. Im Hintergrund der<br />

Erdhütte – die zugestopfte Fenster hatte – war eine weiße Leinwand<br />

aufgespannt worden, auf welche verwischte und zitternde Silhouetten von<br />

Panzern p<strong>ro</strong>jiziert wurden, die siegreich in die wiedere<strong>ro</strong>berten Territorien<br />

Mütterchen Russland (Stalins Formulierung) einfuhren.<br />

Ich betrachtete diese T34-Silhouetten und schien darauf zu warten, auf<br />

einem der Panzer S=mbotin zu erblicken, mit am Hals aufgeknöpftem Rock,<br />

flatternden Haaren, wie er mit seinem Schmiedehammer wütend auf den<br />

Panzerdrehturm einschmetterte 51 .<br />

Da es in diesem Kinosaal weder Stühle, noch Bänke gab, geriet die von<br />

Hunger und Kälte strapazierte Menge in ein äußerst unruhiges Hin- und<br />

Herwogen in diesem leeren Raum und drängte der Tür zu, der Leinwand den<br />

Rücken zukehrend und darauf wartend, die Tortur dieser forcierten<br />

Kulturalisierung möge aufhören. Aber mit dieser Gelegenheit fand jeder seine<br />

Kameraden und Freunde wieder, von denen er während des Transportes<br />

getrennt gewesen war. Wir tauschten unsere Eindrücke von den Waggons aus,<br />

in denen ein jeder von uns die Reise mitgemacht hatte, und ich stellte fest, dass<br />

unser Waggon, mit nur fünf Toten (gegenüber den 15-20 Toten in den anderen),<br />

sich als vom Schicksal begünstigt betrachten konnte.<br />

Schließlich war der Film, Gott sei Dank, zu Ende. Man brachte uns in die<br />

Schlafraumerdhütten, die auch anderen Transitpassagieren bereits gedient<br />

hatten. Es gab einen Korridor in der Mitte und rechts und links davon überlagerte<br />

51 Einige Jahre lang verfolgte mich unaufhörlich die Frage, was wohl mit ihm geschehen war? Sollte er es<br />

geschafft haben, aus der Umzingelung zu entkommen? Falls nicht, war er dann auch in Gefangenschaft<br />

geraten? War er mit dem Leben davongekommen? Die Antwort bekam ich erst Anfang 1945, als in das<br />

Lager, in dem ich mich befand, jene gebracht wurden, die auf hinterhältige Weise nach dem<br />

Waffenstillstand gefangen genommen worden waren, darunter auch Offiziere aus unserem Regiment. Von<br />

diesen erfuhr ich, dass Sâmbotin tatsächlich aus der Einkesselung entwischt war, genau wie Birc! übrigens.<br />

Ob zusammen, weiß ich nicht. Während das Regiment im Wiederaufbau war, hat er geheiratet und wurde<br />

Vater eines Mädchens. Der 23. August fand ihn an der F<strong>ro</strong>ntlinie Jassy-Podul Iloaiei (Kleinstadt bei Jassy,<br />

Anm. d. Ü.). Dort geriet er bei der Begegnung mit den neuen Verbündeten an einen Tschelowek (im Orig:<br />

„ciolovec“, eine Bezeichnung, die pejorativen Charakter hat, Anm. d. Üb.), der seine Uhr haben wollte.<br />

Man kennt das sprichwörtlich gewordene Interesse der Sowjets für Uhren. Sâmbotin fand es unter seiner<br />

Würde, von einem Gauner geplündert zu werden. Auf die Weigerung hin, die Uhr herzugeben, entlud die<br />

Bestie ihre MP in die Brust Sâmbotins, wonach sie ihm die Uhr entriss. Also hatte sich mein Freund in<br />

seinem Vorgefühl, er werde diesen Krieg nicht überleben, leider nicht getäuscht. (Anm. des Autors)

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