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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 204<br />

53. DAS SCHAUSPIEL<br />

Von einer Aneinanderreihung von Witzen, komischen Einlagen, einfachen<br />

Liedern oder kleinen Chören bis hin zu wahren Revuen oder Opern- und<br />

Operettenszenen, symphonischen Konzerten und Theaterstücken hat das<br />

„Schauspiel“, obschon von Gefahren und Versuchungen umlauert, in all diesen<br />

langen und schweren Gefangenschaftsjahren ein beeindruckendes Niveau<br />

erreicht und wurde ununterb<strong>ro</strong>chen von der Begeisterung der Gefangenen aller<br />

im Lager vertretenen Nationalitäten getragen. Wie ich bereits berichtete, befand<br />

sich im Lager ein „Klub“, der aus einem Saal mit Bühne und Orchesterraum<br />

bestand. Eingangs war dieser Saal für politische Sitzungen bestimmt, in denen<br />

man uns die F<strong>ro</strong>ntlage und die sowjetischen Erfolge verkündete, dazu wurden da<br />

die kaiserlichen Feste aus dem Sowjetkalender gefeiert, der 7. November, der 1.<br />

Mai, der 21. Januar (Lenins Geburtstag) usw. Die Organisierung dieser<br />

übertrieben feierlichen Veranstaltungen kam dem „künstlerischen Komitee“ (!!)<br />

der „Antifaschisten“ oder der „Freiwilligen“, wie man sie später nannte, zu, das zu<br />

Beginn aus Altgefangenen bestand, dann aus den moralischen Pleitiers aus<br />

unseren Reihen, derer vom Don und von Stalingrad. Die Vorstellungen<br />

bestanden aus Chören (die Internationale, sowjetische Märsche, „Wareak“ und<br />

andere), sowie aus kleinen p<strong>ro</strong>pagandistischen Kurztheaterstücken. Freiwillig<br />

und ungezwungen… hätte nicht einmal ein Hund den Saal für ein solches<br />

Schauspiel betreten. Deswegen wurden wir anfangs in corpore, nach Schlafsälen<br />

und mit unseren Saalchefs an der Spitze, dahin gebracht, wie zu irgendeiner<br />

schmutzigen Schwerarbeit. Die Applause waren anämisch und ausschließlich<br />

parteiisch, und die Zahl derer, die während des Schauspiels das Weite suchten,<br />

t<strong>ro</strong>tz aller Maßnahmen, zunehmend größer. Unser Widerstand gegen diese<br />

Indoktrinierung durch Schauspiele war offensichtlich und kündigte letztlich eine<br />

massive Ablehnung an.<br />

Das Kommissariat aber konnte sich nicht damit abfinden. Es musste der<br />

zentralen Verwaltung einen Bericht liefern, den diese an die internationalen<br />

Organisationen weiterleiten konnte, nämlich einen, demzufolge es den<br />

Gefangenen an nichts fehlt, es diesen ausgezeichnet geht und dass sie, bitte<br />

schön, sogar Schauspiele veranstalten. Anders als der Rest der stumpfsinnigen<br />

Kommissare verfügte Codler über einen schärferen und flexibleren Verstand, der<br />

es ihm erlaubte, rasch die Taktik zu ändern. Nachdem er feststellte, dass für uns<br />

der Stein des Anstoßes das aufgezwungene Schlucken dessen war, was andere<br />

für uns vorkauten (ein p<strong>ro</strong>pagandistischer, schaler und schwer verdaulicher Brei),<br />

war er schlau genug, schweigend zu akzeptieren, dass wir im Alleingang die<br />

Schauspiele vorbereiteten und für sich nur das Recht in Anspruch nahm, diese<br />

zu zensieren. Auf diese Weise erfuhren die von unseren Jungs übernommenen<br />

Schauspiele einen beeindruckenden qualitativen Sprung und wurden nicht nur<br />

für alle Nationalitäten zum Gaudi, sondern sogar für das Lagerpersonal, dem es<br />

ja in dieser Ödnis sowieso an jeglicher Unterhaltung fehlte. So kam es im Herbst

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